Die Finanzwirtschaft als Alter Ego der Realwirtschaft

Während die Realwirtschaft als die Grundlage unseres Wohlstands angesehen wird, steht eine breite Öffentlichkeit der Finanzwirtschaft kritisch gegenüber. Nicht nur immer wiederkehrende Finanzkrisen sind dafür verantwortlich. Diese Geisteshaltung ist kulturell-religiös motiviert. Ohne funktionierende Finanzwirtschaft gibt es aber keine moderne Realwirtschaft.

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Die unterschiedlichen historischen Rollen des Unternehmers und deren gesellschaftliche Bewertung hat sich im Zeitablauf verändert. Hand in Hand mit dieser Veränderung ging die Entwicklung eines modernen Finanzwesens. In diesem Beitrag möchte ich mich einem Wirtschaftszweig zuwenden, der oftmals in Abgrenzung zur sogenannten Realwirtschaft betrachtet wird: der Finanzbranche. Eigentlich ist sie mehr als eine Branche, denn schon immer stand die Finanzwirtschaft in enger Wechselwirkung mit Staat und Realwirtschaft. Seit der Antike gab es im Bereich der Philosophie und Religion wiederholt heftige Diskussionen über das Wesen des Geldes, seine Funktion, seine Wirkungsmächtigkeit und über die Tugendhaftigkeit des Handels mit diesem Medium.

Nicht nur im Christentum herrschte lange Zeit das kanonische Zinsverbot. Im Islam gilt bis heute ein Zinsverbot (Sure 2, Vers 276), das im Zentrum des modernen Islamic Banking steht. Scharia-konforme Bank- und Fondsprodukte sind längst auch im Westen verfügbar und Teil des Produktangebots vieler auch nicht islamischer Finanzdienstleister. Während aber das Geben oder Nehmen von “Riba” (arabisch für “Zins”) nach überwiegender Meinung islamischer Rechtsgelehrter sich nicht nur auf ausbeuterischen Wucher bezieht, sondern absolut verboten ist, hat sich die jüdische und christliche theologische Meinung dazu im Laufe der Jahrhunderte immer stärker ausdifferenziert. In der islamischen Welt haben sich – ähnlich wie im christlichen Mittelalter – zahlreiche Konstruktionen herausgebildet (“Finanzinnovationen”), welche die wirtschaftliche Funktion des Zinses substituieren. Aber gewissermaßen immer schon war das Geldwesen Gegenstand heftiger ethischer Kontroversen. Und das hat sich bis heute nicht geändert.

Der Forschungsdirektor des renommierten Acton Institute in Michigan, Samuel Gregg, promoviert an der Universität Oxford im Bereich Moralphilosophie und Politische Ökonomie, schrieb ein hervorragendes Buch, in dem er vor allem aus christlicher Perspektive eine historische Aufarbeitung des theologischen Ringens um eine moralisch-politische Position zur Finanzwirtschaft in Angriff nahm. Auf dieses Werk “Für Gott und den Profit” (die deutsche Ausgabe erschien 2017) werde ich mich im Folgenden öfters beziehen.

Lange wurde Geldverleih mit Wucher gleichgesetzt

Die Herausarbeitung des Unterschiedes zwischen ausbeuterischem Wucher und Zinszahlungen im Rahmen produktiver, kommerzieller Geschäftstätigkeit war in der westlichen Welt die Leistung vor allem christlicher Theologen, Philosophen und Kirchenrechtler. Im Hoch- und Spätmittelalter äußerten sich hier vor allem die Franziskaner sowie die Dominikaner, seit der Neuzeit auch die Jesuiten. Vielleicht ist es typisch, dass der heilige Franz von Assisi, der Patron der Kaufleute, schon früh über die Funktionsweise des Zinses und damit die Bedeutung des Geldwesens für ein funktionsfähiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nachgedacht hat. Die Reformation hat im Wesentlichen die Sicht der Katholiken übernommen.

Immer wieder – regelmäßig nach Ausbruch einer Finanzkrise – wird der Ruf nach staatlicher Regulierung laut. Das klassische Bankgeschäft ist davon besonders betroffen. Das Pendel schlägt dann – der vermeintlichen “vox populi”, dem Wählerwillen, geschuldet – in Richtung stärkerer Regulierung des Finanzwesens aus, nur um nach wenigen Jahren anlässlich der nächsten Finanzkrise festzustellen, dass dies nichts verhindert, manches aber vielleicht sogar verschlimmert hat. Gelegentlich ist dann auch wieder Deregulierung angesagt, um die Leistungsfähigkeit des Systems zu verbessern. Und wieder stellt man fest, dass die nächste Finanzkrise unvermeidbar ist.

Dann kritisieren für gewöhnlich gesellschaftspolitisch linke Gruppierungen im Gleichklang mit konservativ-bürgerlichen, christlichen und klerikalen Kreisen die Casinomentalität des Finanzkapitalismus. Es ist dies Ausdruck einer rückwärtsgewandten, ökonomisch unbedarften Almosenmentalität, die versucht, sozial wünschenswerte Ergebnisse mit untauglichen Mitteln herbeizuführen. Alles das resultiert aus der falschen Annahme, dass die Wirtschaft ein Nullsummenspiel sei, in dem der Gewinn des Einen zulasten des Anderen geht. Schuld an der Armut der Armen ist nach dieser Auffassung der Reichtum der Reichen. Feindbild Nummer eins war schon immer und ist nach wie vor die Finanzbranche. Wer aber so denkt, verkennt die segensreiche Wirkung des Finanzwesens für das Herstellen von breitem Wohlstand. Gerade auch für Unternehmer ist es wichtig, zu erkennen, dass das Nutzen der Möglichkeiten einer modernen Finanzwirtschaft für den Erfolg nicht weniger wichtig ist als das Erkennen der Bedeutung globaler Märkte oder der Digitalisierung.

Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel

Warum aber hat sich die – aus heutiger Sicht eigentlich absurde – Idee der Wirtschaft als Nullsummenspiel so im Denken verfestigt? Samuel Gregg erklärt dies mit der sozioökonomischen Entwicklung bis zum Ende des Hochmittelalters.

“Um die während des beschriebenen Zeitraums vorherrschenden Ansichten zum Finanzwesen richtig einordnen zu können, muss man vor allem verstehen, dass das damalige ökonomische Umfeld der Schaffung von Wohlstand im Allgemeinen alles andere als zuträglich war. Es gab keine Ökonomien mit umfassendem und anhaltendem Wachstum über längere Perioden hinweg. Die wirtschaftlichen Bedingungen für nahezu alle genannten Zeiträume blieben gekennzeichnet durch verschiedene Kombinationen von agrarischer Subsistenzwirtschaft, Sklaverei und einer Ökonomie der Ausplünderung und Enteignung durch Abgaben, Tributzahlungen und Steuern, die von Eroberten an Eroberer gezahlt werden mussten.”

Samuel Gregg fährt dann fort: “Diese Sicht der Wirtschaft als Nullsummenspiel wurde durch die Tatsache gefördert, dass jegliches Verständnis dafür fehlte, wie Kapitalbildung und Investitionen die Arbeitsteilung erleichtern und dadurch zu einem Anstieg der Gesamtsumme an Reichtum führen. Ebenso wenig wusste man, dass Geld zu einem gegenwärtigen Zeitpunkt nicht nur mit Hilfe von Ersparnissen, sondern auch durch die Erwartung zukünftiger Profite und Erträge geschaffen werden kann. Diese Kombination aus politischen, demographischen, institutionellen und geistigen Faktoren bewirkte, dass in den ersten neunhundert Jahren des Christentums nach und nach immer mehr Menschen in den überwiegend landwirtschaftlichen Gesellschaften in Armut versanken. Geld wurde damals hauptsächlich für Konsumzwecke geliehen – um z. B. Ernteausfälle zu überleben. Dadurch häuften sich die Gelegenheiten der Ausbeutung durch Geldverleiher. […] Die Zinssätze waren extrem hoch, hauptsächlich wegen des großen Risikos, das der Verleiher auf sich nahm.“

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Der im 19. Jahrhundert als französischer Politiker tätige Jules Favre schreibt dazu, dass zum Beispiel das Niveau der meisten Zinssätze im 9. Jahrhundert “alles übersteigt, was man sich an Infamie und Erpressung vorstellen kann – 100, 200 und sogar 300 Prozent. Für ein Scheffel Weizen oder ein Maß Wein verlangten die Verleiher drei oder sogar vier zurück, wenn die Ernte anstand.“ (Favre, J. 1900)

Im Mittelalter wurde die Grundlage des modernen Geldwesens geschaffen

Während der Scholastik setzten sich kirchliche Denker ausführlich mit dem Wesen von Geld und Kapital auseinander. Die erste zentrale Erkenntnis war, dass Geld – verstanden als reines Tauschmittel – durch Kredit und Geldhandel seinen Charakter verändern und “produktiv” werden kann, wodurch es schließlich zu “Kapital” wird. Die endlose Auseinandersetzung mit Fragen, wann, in welcher Form, mit welcher Absicht und wem gegenüber Zinsnehmen nun erlaubt sei, führte schließlich zu zahlreichen Konstruktionen und Finanzinnovationen, die an der Wiege des modernen Finanzwesens standen. Dieses mutierte damals zu einer Wachstumsmaschine, welche die gesamte Wirtschaft erstmals in breitem Umfang mit Kapital ausstattete und so einen ökonomischen Aufschwung in Gang setzte, der historisch einmalig war.

Gegen Ende des 10. Jahrhunderts kam es schließlich zu einer “kommerziellen Revolution”, wie der Mediävist Robert Lopez schrieb: Damals “bewegte sich das katholische Europa von Stagnation auf unterstem Niveau in Richtung einer sozialen und wirtschaftlichen Mobilität, die nicht nur voller Gefahren, sondern auch voller Hoffnung war”. Der Teufelskreis von niedriger Produktion, geringem Konsum und Bevölkerungsrückgang, der auf den sich im Zeitlupentempo vollziehenden Zusammenbruch des Römischen Reiches folgte, wurde durch eine “spektakuläre Transformation” des abendländischen Wirtschaftslebens durchbrochen. Bevölkerungswachstum und technologische Neuerungen (wie etwa die Maschinenkraft in Landwirtschaft und Warenfertigung) hatten eine intensivere Landwirtschaft zur Folge. Diese erzeugte wiederum mehr Produkte, führte zu mehr Handel und – vor allem – zu überschüssigem Kapital.

Dieses Kapital konnte für Investitionen eingesetzt werden und bewirkte so, dass die Gesellschaft die Subsistenzwirtschaft zu überwinden vermochte. Im 14. Jahrhundert gründeten die Franziskaner erste Kreditinstitute auch für verhältnismäßig arme Leute, die sogenannten montes pietatis (Berge der Barmherzigkeit), die Kredite zu Zinsen zwischen vier und zwölf Prozent vergaben. Diese Zinsgeschäfte wurden schließlich zur Norm, im Jahre 1467 wurden die montes und die Praxis der Zinsnahme von Papst Paul II. erstmals gebilligt. Einer der frühesten montes, der Monte die Paschi di Siena, wurde 1472 gegründet, existiert heute noch und ist Italiens drittgrößte Bank, die allerdings gegenwärtig in einer Krise steckt und der Staatshilfe bedarf, weshalb über diese Bank zuletzt heftig diskutiert wurde.

In der Neuzeit setzte eine rasante Entwicklung des Finanzsektors ein

Das Finanzwesen wurde in dieser neuen Wirtschaftswelt weiter perfektioniert. Gesellschaftsrechtliche Instrumente trafen mit Finanzinstrumenten zusammen, die Zug um Zug komplexer wurden und den eigenständigen Handel mit Finanztiteln ermöglichten. Die Institutionalisierung des Kapitals führte zu einer enormen Zunahme des in Umlauf befindlichen Geldes. Einlagen, Investments und Wertpapiere verfeinerten den finanziellen Cocktail und machten das Finanzsystem effektiver.

Alles war eng mit der Realwirtschaft verbunden und befeuerte deren Entwicklung. Dieses bereits differenzierte Finanzsystem führte auch zur Entstehung von “Phantomgeld”, das dem heutigen Buchgeld entsprach. Im frühen 17. Jahrhundert war es schließlich so weit, dass die Internationalisierung des Finanzwesens nicht nur eine Folge der ersten Globalisierung der europäischen Wirtschaft war, sondern diese zugleich antrieb.

Dieses historische Schlaglicht soll zeigen, wo die Anfänge des Finanzsystems lagen. Eines Systems, dass heute an Komplexität seinesgleichen sucht. Immer war es ein Spannungsfeld aus ethischen und praktischen Erwägungen, das einen Spagat aller Beteiligten erforderte. Und der Umgang heutiger Banken mit ihren Kunden hat sich seit der letzten Finanzkrise deutlich verändert. Diese Betrachtung scheint mir wichtig, um verstehen zu können, warum die Skepsis gegenüber dem Finanzsektor derart allgegenwärtig ist. Trotzdem ist es an der Zeit, Pragmatismus walten zu lassen. Ohne funktionierendes Finanzwesen ist eine moderne Realwirtschaft undenkbar.

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