Die Rückkehr der Realpolitik – wir sollten uns umorientieren

Seit dem Untergang der Sowjetunion befindet sich der Westen in einem trügerischen Glauben an die Überlegenheit des christlich-liberalen Weltbilds. Damit einher geht ein Sendungsbewusstsein, das seit jeher Teil unserer westlichen Arroganz war. Aber immer größer werden die Risse in unserem System. Wir sollten schleunigst umdenken – auch als Unternehmer.

Nach dem Ende des kalten Krieges begann der Westen an die endgültige Überlegenheit seines Wertesystems zu glauben. Vom “Ende der Geschichte” war die Rede, als der Politikwissenschaftler Francis Fukujama 1992 sein gleichlautendes Buch veröffentlichte. Dieses setzte auf der Hegelschen Dialektik auf. Tatsächlich führt Hegels Geschichtsphilosophie zu einem „Ende der Geschichte“ im Sinne einer letzten Synthese, wo es keine weltpolitischen Widersprüche mehr gibt. Davon träumte der Westen nach dem Fall der Berliner Mauer. Eine tragische Hybris, wie wir spätestens nach dem Erstarken des islamischen Fundamentalismus erkennen mussten.

Fukuyama vertrat die These, dass sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR und ihrer ehemaligen Satellitenstaaten bald die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und Marktwirtschaft endgültig und überall durchsetzen würden. Die Demokratie habe sich deshalb als Ordnungsmodell durchgesetzt, weil sie das menschliche Bedürfnis nach sozialer Anerkennung relativ gesehen besser befriedige als alle anderen Systeme. Damit verbunden ist auch ein scheinbar rationales Weltbild, das auf den Prinzipien der Aufklärung fußt.

Als jüngstes Symbol einer Fehlentwicklung kann der UNO-Migrationspakt dienen. Der Westen tut so, als lasse sich die Welt mit Deklarationen regieren. Ob verbindlich oder nicht, es werden “Werte” zum Instrument der Politik erhoben, auch wenn sie für die praktische Politik weitgehend irrelevant sind. Immerhin können sich ganze Heerscharen von Gutmenschen und viele NGOs in Zukunft auf diese vermeintliche Selbstverpflichtung der Unterzeichner berufen. Doch das Pendel schwingt mittlerweile immer öfter zurück. Offen kommunizierte Machtpolitik wird immer unverhohlener wichtiger als Pseudomoral. Die Unterwerfung unter eine Moralkeule findet immer seltener statt.

Innenpolitisch glauben demokratische Politiker, unter Berufung auf „Moral“ und „Werte“ die mangelnde Leistungsfähigkeit unserer Systeme vernebeln zu können. Doch längst hat die Bevölkerung erkannt, dass mangelnder Pragmatismus Wachstum und Wohlstand kostet.

Realpolitik ist interessengeleitet, die UNO verliert immer mehr an Bedeutung

Als die Hoffnungen des arabischen Frühlings an der Realität kultureller Gegebenheiten zerbrachen, wurde es immer klarer: Die Realpolitik ist zurück. Spätestens als in Syrien die Hölle losbrach und sich ein Flüchtlingsstrom gen Westen in Bewegung setzte, war es unübersehbar. Die “Ära der Werte” ging zu Ende. Hilflos musste ein überforderter Westen zusehen, wie sich ein Diktator mit Hilfe internationaler Verbündeter aus Russland und dem Iran durchsetzte. Das letzte Mal hatte der Westen scheinbar mit einer “Koalition der Guten” in Libyen gesiegt, als der Diktator Muammar Gaddafi aus dem Amt gejagt wurde. Ergebnis war wie im Irak einmal mehr ein Failed State, der sich als Ergebnis des westlichen Demokratiewahns in einer tribal organisierten Gesellschaft fast zwangsläufig entwickeln musste.

Das absehbare Scheitern einer machtlosen UNO in Syrien wie in nahezu allen Weltregionen macht eines deutlich. Sie ist keine machtvolle Organisation, die beispielsweise die Migration kanalisieren kann. Vielmehr ist sie ein Papiertiger, der zu Propagandazwecken missbraucht wird (wie die zahllosen gegen Israel gerichteten Resolutionen zeigen), und an den hilflose Politiker in Demokratien scheinheilig ihre angebliche moralische Pflicht zum Handeln öffentlichkeitswirksam delegieren.

Die Irrtümer westlicher Außenpolitik seit den 1990er Jahren

Nach dem Ende des Kalten Krieges weckte der Westen Hoffnungen, die er niemals erfüllen konnte. Die Segnungen des westlichen Gesellschaftsmodells sind nämlich kulturgebunden und eben genau nicht universell, wie wir in unserer Verblendungen immer behaupten. Sowohl die Menschenrechte als auch das Völkerrecht in seiner Gesamtheit sind sogenannte “leges imperfectae”, wie es die Juristen formulieren würden. Sie lassen sich zwar beschließen, aber nicht mit Hoheitsgewalt durchsetzen.

Nachdem ein Gewaltmonopol fehlt, das die Anwendung wie beim nationalen Strafrecht erzwingen kann, bleibt eine wirkungsvolle Durchsetzung zumeist eine Illusion. Sanktionen sind möglich, selbst Militäroperationen gemäß der UNO-Charta, doch bleiben sie seltene Ausnahmen. Die «internationale Gemeinschaft» wird ihre Anführungszeichen nie los, weil sie eine Schimäre bleibt. Dennoch werden immer neue Regelungen wie beispielsweise der jüngste Migrationspakt in Kraft gesetzt. Die Scheinmoral und Wirkungslosigkeit spielt wiederum Populisten in die Hände, die sich darauf berufen, dass dunkle Mächte und global agierende Eliten internationale Abkommen benutzen, um die Völker im Interesse variierender Feindbilder oder des abstrakten Großkapitals zu unterjochen.

Nicht mehr nationale Interessen, sondern Werte werden politisch vorgeschützt

Seit die Welt nicht mehr in eine westliche und eine kommunistische Einflusssphäre gespalten ist, begann der Westen immer öfter, interventionistisch seine Interessen unter Berufung auf universelle Werte und gestützt auf UNO-Mandate durchzusetzen. Nation-Building, die Eliminierung blutrünstiger Diktatoren, die Errichtung von Demokratien oder die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen wurden argumentativ bemüht. Dann passierte plötzlich die Erbsünde, als Russland sich am Balkan querstellte. Serbien wurde ohne UNO-Mandat militärisch in die Knie gezwungen, als die Kosovo-Krise eskalierte. Sogar ansonsten pazifistische politische Bewegungen wie die deutschen Grünen forderten ein militärisches Einschreiten. Pragmatismus galt als Verrat an moralischen Zielen.

Damit aber noch nicht genug. Ein UNO-Weltgipfel verabschiedete im Jahr 2005 ein Dokument, das noch einen beträchtlichen Schritt weiterging und eine sogenannte “Responsibility to Protect”, kurz R2P, stipulierte. Diese Pflicht fand dann sogar Eingang in die Resolution 1674 des Sicherheitsrates. Wenn ein Machthaber sein Volk bedrohte und ihm die essenziellen Schutzfunktionen eines Staates vorenthielt, sollte der Staat seine Souveränität verlieren. Die «Weltgemeinschaft» habe dann geradezu die moralische Pflicht zu intervenieren. Beim Sturz des lybischen Diktators kam R2P schließlich erst- und letztmalig zum Einsatz.

International bläst dieser Pseudomoral der Wind ins Gesicht

Putin hat die Nase voll. Die vollmundigen Versprechungen des Westens angesichts der russischen Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung, die NATO nicht weiter nach Osten auszudehnen, waren leere Worte. Auch Gaddafi fand den Tod, nachdem er seine Atomwaffen abgeliefert hatte. Und aus Afghanistan sind die Amerikaner weitgehend abgezogen und haben ein Chaos hinterlassen, ebenso aus dem Irak. Obama hat Bashar Al-Assad klar vor dem Einsatz von Chemiewaffen gewarnt (“Rote Linie”), dann aber keine Taten folgen lassen. Und Merkel als Bastion europäischer Gesinnungsethik nahm ihre Grundsätze auch nicht ernst, als Erdogan die Demokratie beseitigte, aber die Flüchtlingswelle nach Griechenland stoppte.

Es ist eine Mischung aus Sendungsbewusstsein, Scheinmoral und dem Versuch, internationale Institutionen und Regeln als Instrument der Domestizierung von Rivalen und der Durchsetzung eigener Spielregeln einzusetzen, welche sich die Welt nicht mehr bieten lässt. Erfolgte in früheren Jahrhunderten die Kolonialisierung Afrikas unter dem Titel christlicher Missionierung sowie der Verbreitung moderner Zivilisation, so versucht der Westen heute, mit neuen Argumenten ähnliche Ziele zu verfolgen. “Internationale Zusammenarbeit”, “Menschenrechte”, “globale Armutsbekämpfung”, “Grundrecht auf Demokratie” und andere Schlagworte sollen günstige Rahmenbedingungen für die Aufrechterhaltung globaler westlicher Dominanz schaffen. So zumindest sehen es große Teile der restlichen Welt. Alleine: das Spiel funktioniert nicht mehr. Dass die westliche Welt immer mehr an Anziehungskraft verliert und aus den Fugen gerät, ist offensichtlich. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme natürlich nach wie vor attraktiv bleibt.

Nationale Egoismen nehmen wieder jene Rolle ein, die sie in Wahrheit immer spielten

Ein rational denkender Putin reagiert auf die Tugendkeule mit kühler Berechnung. Bei der Annexion der Krim schätzte er zutreffend ein, dass die Selbstverpflichtung der internationalen Gemeinschaft wertlos ist. Den Versuch der Amerikaner, eine wirtschaftliche und politische Annäherung Europas an Russland über Sanktionen zu behindern, nimmt er zähneknirschend in Kauf, da er erkennt, dass sich in einer Post-Merkel-Ära die Blickwinkel möglicherweise verschieben werden. Die Annäherung an China ist Putin zudem wichtiger, um dem amerikanischen Hegemon im regionalen Umfeld Russlands Paroli bieten zu können. Die Unterstützung des syrischen Diktators sichert den Zugang zum Mittelmeer, die “moralischen” Kosten stören ihn nicht wirklich. Warum auch, der Westen hat über Jahrhunderte auf der ganzen Welt bewiesen, dass Moral für ihn keine ernstzunehmende politische Kategorie ist. Der Westen schaut dem erwartungsgemäß tatenlos zu. Syrien wurde so zum Menetekel einer scheinbar wertebasierten Außenpolitik.

China betont in guter konfuzianischer Tradition seine friedvollen Absichten, unterstützt Klimaschutz und freien Welthandel (solange es um seine Exportmärkte geht). Mit nüchternem Blick auf fehlende Konsequenzen ignoriert China aber im Streit um das Südchinesische Meer die internationale Seerechtskonvention und ein sich darauf stützendes Gerichtsurteil. China hat übrigens bei objektiver Betrachtung (historisch) gute Gründe für seinen Standpunkt. Darum geht es aber nicht. Die Seidenstraßeninitiative, der eherne Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten (beispielsweise in Afrika) stehen für die konsequente Verfolgung chinesischer Interessen. Warum auch nicht? Denken wir wirklich, nur uns steht dieses Privileg zu?

Trump ignorierte völlig alle bisherigen Regeln. “America first” beschreibt sogar begrifflich, dass nationaler Egoismus zum politischen Imperativ erhoben wurde. Er stieg aus allem aus, was er für schädlich oder unnütz hielt und nutzte brutale Erpressung sowohl militärisch als auch wirtschaftlich ganz unverhohlen als politisches Instrument. Er ist lieber Erzschurke als Weltpolizist, der schwarze Schwan der Weltpolitik. Innenpolitisch kommt das bei einem großen Teil der Bevölkerung durchaus an, auch wenn sie die Konsequenzen dieses Verhaltens nicht abschätzen können. Im Gegensatz zu Russland und China agierte Trump aufgrund seiner narzistischen Persönlichkeitsstruktur nämlich wenig rational. Es zeigt aber, wie wenig wir uns im Westen auf unsere moralische Überlegenheit einbilden sollten. Auch in Europa nehmen offen moralbefreite Positionen überall zu, wie populistische Regierungen nicht nur in Osteuropa, sondern auch in Italien aufzeigen. All das wird vielerorts von der Mehrheitsbevölkerung demokratisch legitimiert getragen, sosehr manche deshalb auch aufheulen mögen.

Unternehmer sollten sich umorientieren

Nachdem das Faustrecht zunehmend an Bedeutung gewinnt, wird es für international tätige Unternehmer nicht leichter. Ein neuer Unternehmertypus ist gefragt. Politische Rahmenbedingungen ändern sich schnell und ein Verlassen auf bestehende Rechtslagen kann ins Auge gehen. Mehr denn je ist es wichtig, sich situativ anpassungsfähig aufzustellen. Wer das berücksichtigt, wird auch in Zukunft spannende Rahmenbedingungen vorfinden, allerdings andere, als sie in den letzten Jahrzehnten vorlagen. Die Veränderungen gehen diesmal neben der Digitalisierung auch von der Politik aus!

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