Die „liberale Demokratie“ ist eine permanente Gratwanderung

Populisten bedrohen angeblich die Demokratie, Eliten scheinen sie zu verteidigen. Dies ist sowohl historisch als auch aktuell falsch. Die liberale Demokratie ist eine permanente Gratwanderung zwischen den Polen „illiberale Demokratie“ und „undemokratischer Liberalismus“. Sowohl eine reine Demokratie als auch ein reiner Liberalismus sind schädlich.

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Schleichend und vielfach unbeachtet hat sich in den USA und in Europa ein politisches System entwickelt, bei dem immer mehr Menschen das Gefühl haben, immer weniger mitreden zu können. Dabei werden rechtsstaatliche Normen zumeist penibel eingehalten und die Rechte des Individuums weitgehend respektiert. Viele Wähler haben dennoch seit Langem das Gefühl, dass sie kaum noch Einfluss auf das Tun des Staates haben. Dem versuchen sie zu entgehen, indem sie der politischen Mitte – und damit dem bestehenden System – den Rücken zukehren. Viele erkennen, dass alte politische Argumentationsmuster kein Ersatz für pragmatische Politik sind und wenden sich daher angewidert von der Politik ab. Vor allem die junge Generation ist zwiegespalten. Ein Teil hat die Nase voll, da sie das Gefühl hat, dass unser politisches System ihre Zukunft verspielt. Ein anderer Teil ist themenzentriert so aktiv wie schon lange nicht – „Fridays For Future“ oder die EU-Urheberrechtsreform stehen für diesen neuen Trend.

Dabei werden von immer breiteren Wählerschichten teilweise politische Parteien gewählt, die weit rechts oder links der Mitte positioniert sind. Zuletzt hat die Landtagswahl 2019 in Thüringen diesen Trend massiv aufgezeigt, wo einerseits die AFD und andererseits die Linke die klassischen Mitte-Parteien CDU und SPD massiv redimensioniert haben. Noch öfter sind es aber auch Quereinsteiger, die abseits der etablierten Parteienlandschaft mit eigenen Listen kandidieren und erfolgreich sind. Diese können, müssen aber nicht „Populisten“ im klassischen Sinn sein. Und staatliche und suprastaatliche Institutionen, wie beispielsweise die Notenbanken, die scheinbar „nicht demokratisch legitimiert“ sind, gewinnen einerseits immer stärker an Bedeutung, werden aber andererseits auch immer heftiger kritisiert.

Demokratie und Liberalismus sind aber nicht zwingend komplementäre Bestandteile ein und desselben Staatsverständnisses. Das antike Athen war zwar demokratisch (mit starken Einschränkungen auf gewisse Teile der Bürger), aber völlig illiberal. Minderheiten wurden drakonisch verfolgt und ihre Meinungen mit Gewalt unterdrückt. Das Preußen im 18. Jahrhundert hingegen war relativ liberal, obwohl es von einem absoluten Monarchen regiert wurde. Wir haben heute in westlichen Ländern die schlechte Angewohnheit, die Definition von Demokratie auf alles auszudehnen, was uns gefällt. Im Folgenden werde ich eine notwendige Differenzierung vornehmen.

Der Liberalismus legt den Schwerpunkt auf Freiheit und Schutz des Individuums

Der hier verwendete Begriff des Liberalismus orientiert sich nicht an der europäischen Denkfigur des „Neoliberalismus“, der von den Linken für „ungehemmten Raubtierkapitalismus“ vereinnahmt wird. Er meint auch nicht den amerikanischen Begriff der „Liberalen“, also der politisch Linken, der im Gegensatz zu den „Konservativen“ verwendet wird. Stattdessen verstehe ich in Übereinstimmung mit den meisten Politikwissenschaftlern darunter ein politisches Konzept, das grundlegende rechtsstaatliche Werte wie Meinungs- und Redefreiheit, Gewaltenteilung und Schutz von Minderheitenrechten beinhaltet. John McCain war in diesem Sinne genauso liberal wie Barack Obama und Angela Merkel ebenso wie Christian Lindner oder Sigmar Gabriel.

Praktisch alle heutigen Demokratien sind zunächst als repräsentative Elitensysteme entstanden, die „Volksdemokratien“ eher verhindern als fördern wollten. Eine repräsentative Republik war für die Gründerväter der amerikanischen Nation nicht die zweitbeste Lösung, vielmehr war für sie den Schrecken einer aufrührerischen Demokratie fraglos überlegen. Nach James Madison, einem der Urheber der amerikanischen Verfassung und späterem Präsidenten, dienten Wahlen dazu „die öffentliche Meinung zu verfeinern und zu vergrößern, indem sie durch das Medium einer ausgewählten Versammlung von Bürgern passiert, deren Klugheit am besten in der Lage ist, die wahren Interessen des Landes zu erkennen“. Und er fügte hinzu: „Wenn die Stimme des Volkes von ihren Vertretern erhoben wird, ist sie dem Wohl des Ganzen viel stärker zuträglich, als wenn das Volk sie selber erhebt.“

„Liberal“ im Sinne einer liberalen Demokratie bedeutet heute, Rechtsstaatlichkeit über starke, von den aktuellen Mehrheitsverhältnissen unabhängige Institutionen sicherzustellen. Dadurch wird die Unterdrückung von Minderheiten, von Meinungs- und Pressefreiheit, die Abhängigkeit von einer Staatsgewalt hintangehalten. Aber dadurch entsteht auch ein natürlicher Antagonismus zur reinen Demokratie als System der Herrschaft einer Mehrheit.

Demokratie bedeutet, dem Volkswillen zum Durchbruch zu verhelfen – in Grenzen

Laut dem amerikanischem Politikwissenschafter Robert Alan Dahl zeichnen sich idealtypische Demokratien durch fünf Systemmerkmale aus:

  • zielgenaue, wirksame Partizipation;
  • gleiches Wahlrecht und Stimmengleichheit insbesondere bei entscheidenden Abstimmungsstufen;
  • aufgeklärter Wissensstand;
  • finale Kontrolle der politischen Agenda durch das Volk;
  • Inklusion aller stimmberechtigten erwachsenen Bürger.

Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk, der an der Harvard University arbeitet, formuliert ein etwas breiteres Demokratiekonzept (und relativiert es zugleich), das folgende Bestandteile umfasst:

  • freie und faire Wahlen mit Wettbewerbscharakter;
  • allgemeines Wahlrecht für Erwachsene;
  • umfassender Schutz der Bürgerrechte, einschließlich der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit;
  • die Abwesenheit nicht gewählter „beschützender Institutionen“ (z.B. Militär, Monarchie oder Kirchen), die die Machtbefugnis gewählter Organe einschränken.

Dieses breitere Konzept erlaubt nämlich nicht, die Idee der „Herrschaft des Volkes“ klar von dem Konzept einer Technokraten- und Institutionenherrschaft (Elitensystem) zu unterscheiden, die die tatsächliche Macht des Volkes zum Schutze von Minderheiten einschränkt. Real in der Praxis existierende Demokratien definieren sich in ihrer konkreten Ausgestaltung nämlich immer über das Bestehen bestimmter, historisch bedingter Institutionen, die ein System von „Checks & Balances“ bereitstellen.

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In einer immer komplexeren und stärker vernetzten Welt sind der Schutz von Minderheiten sowie institutionelle Rahmenbedingungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung nötig. Diese fußen jedoch auf dem Rechtsstaat und verhindern gerade ein Primat der Politik („der Demokratie“) gegenüber dem Recht, was andernfalls in einer „Diktatur der Massen“ enden würde. Eine „Demokratie ohne Recht“ würde Freiheit, Sicherheit und Stabilität jeder Gesellschaft untergraben. Die Entwicklung Frankreichs unmittelbar nach der französischen Revolution sowie der Blutrausch der Jakobiner samt dem Wüten eines Maximilien de Robespierre mögen als abschreckendes Beispiel für eine Demokratie ohne Recht dienen.

Demokratie ohne Einschränkungen untergräbt den Rechtsstaat

Sowohl rechte als auch linke Aktivisten sind sich in ihrer Gesellschaftskritik weitgehend einig und fordern mehr Demokratie und weniger Liberalismus. Die linke Occupy-Aktivistin Astra Taylor klagt über den „antidemokratischen Drang, dass das Volk heute nicht zu viel Macht habe, sondern zu wenig“. Der rechts anzusiedelnde britische Soziologe Fank Furedi pflichtet ihr diesbezüglich bei und stellt fest: „Antipopulismus ist oft schlichtweg Antidemokratie“.

Heute genügt bereits ein Blick in Richtung Türkei, Russland oder Venezuela, um zu erkennen, dass der demokratische Aufstieg illiberaler Machthaber oft nur ein Vorspiel für Autokratien oder Diktaturen ist. Sind die Medien erst einmal mundtot gemacht und die Unabhängigkeit der Institutionen (Gerichte, Notenbanken, rechtsstaatliche Verwaltung etc.) abgeschafft (beide stehen für Liberalismus), fällt den illiberalen Demokraten der Übergang vom Populismus zur Diktatur denkbar leicht. Zunächst heißt es, „das Volk entscheidet, was zu tun ist“ und „räumen wir institutionelle Hindernisse aus dem Weg“. Schließlich heißt es dann, „ich und meine Bewegung sind das Volk“. Auch die Peronisten in Argentinien mögen dafür als Beispiel dienen.

Nach der Wahl von Donald Trump hörte sich Viktor Orbans Bekenntnis zur Demokratie wie folgt an: „Die Wahl kennzeichnet Amerikas Übergang von einer liberalen Nichtdemokratie zu einer echten Demokratie.“ Nicht umsonst sprach Stephen Bennon, der damalige Chefstratege Trumps von der „Dekonstruktion des administrativen Staates“, um „den Volkswillen zum Durchbruch zu bringen“.

Verschiedene Staatsmodelle kreisen um Demokratie und Liberalismus

Je nach Gewichtung der Pole „Liberalismus“ und „Demokratie“ lassen sich verschiedene Staatsmodelle skizzieren, die in jeweils unterschiedlichen Regierungsformen münden. Grundsätzlich geht ein Übergewicht an Liberalismus zulasten der Demokratie, ein Übergewicht an Demokratie zulasten des Liberalismus. Nur das Modell der „liberalen Demokratie“ versucht, beide Aspekte in Einklang zu bringen. Es zeigt sich aber, dass es in der realen politischen Welt alles andere als natürlich ist, dass beide Gestaltungselemente wohlausgewogen aufeinandertreffen.

Je stärker individuelle Freiheiten geschützt werden, desto weniger kommt der demokratische Mehrheitswille ungefiltert zum Durchbruch („undemokratischer Liberalismus“). Je stärker der direkte Volkswille institutionelle Barrieren zurückdrängt, desto weniger werden Individual- und Minderheitenrechte geschützt („illiberale Demokratie“). Wird sowohl die Demokratie als auch der Liberalismus stark ausgehöhlt, so tendiert ein politisches System zur Autokratie und weist diktatorische Züge auf. Eine wohlausgewogene liberale Demokratie ist hingegen in immer mehr Staaten auf dem Rückzug. Historisch betrachtet wird sie vielleicht einmal als kurze Episode betrachtet werden, die vor allem in Europa unter ganz speziellen Bedingungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts aufblühen konnte.

Während rechte und linke Populisten die Demokratie stärker gewichten als den Liberalismus, versuchen elitäre Herrschaftssysteme den unmittelbaren Volkswillen in Systemen mit ausgeprägten Elementen repräsentativer Demokratie zugunsten stärkerer institutioneller und technokratischer Korrektive zu filtern und zu kanalisieren- frei nach dem Motto: „Die Eliten betreiben „decision making“, die Wähler hingegen „decision confirming“. Die amerikanische „Polyarchie“ des 20. Jahrhunderts war ein gutes Beispiel für eine funktionierende repräsentative Demokratie. Die österreichische Sozialpartnerschaft in der Nachkriegszeit kann hierzulande als funktionierendes Beispiel dienen.

Nachfolgendes Schaubild soll modellhaft diese vier Staatsmodelle skizzieren:

Warum wir unsere Illusionen verlieren sollten

Yascha Mounk schreibt in seinem lesenswerten Buch „Der Zerfall der Demokratie“ über den aktuellen Zustand: „In Demokratien rund um die Welt vollziehen sich zwei scheinbar gegensätzliche Entwicklungen. Einerseits werden die Einstellungen der Menschen zunehmend illiberal: Die Wähler verlieren die Geduld mit unabhängigen Institutionen und sind immer weniger bereit, die Rechte von ethnischen und religiösen Minderheiten zu akzeptieren. Andererseits gewinnen Eliten immer mehr Kontrolle über das politische System und schotten es Zug um Zug von der öffentlichen Meinung ab. Weniger denn je sind die Mächtigen bereit, dem Willen des Volkes nachzugeben. Gerade deshalb geraten Liberalismus und Demokratie, die beiden Grundelemente unseres politischen Systems, stärker und stärker miteinander in Konflikt.“ Eine treffende Analyse, die den Aufstieg der Populisten rund um den Erdball erklärt.

Wollen wir unser westliches System der liberalen Demokratie erhalten, so bedarf es meiner Ansicht nach mehr als nur marginaler Korrekturen. Ein Projekt „Demokratiereform“ ist aus meiner Sicht mehr als nur überfällig. Nachfolgendes Schaubild stellt die meiner Meinung nach wichtigsten Bausteine einer Demokratiereform dar:

Wenn wir unsere liberale Demokratie erhalten und zukunftsfähig machen wollen, sollten wir die oben dargestellten Punkte konkret in Angriff nehmen. Was darunter konkret zu verstehen ist, entnehmen Sie bitte einem eigenen Blogpost von mir.

 

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