Alte politische Argumentationsmuster ersetzen nicht pragmatische Politik

Es sind nicht nur die alten ideologischen Auseinandersetzungen und ebenso wenig die Verwandlung von Politik in eine neue Form von Unterhaltungsindustrie, die uns verzweifeln lassen. Wir leben vielmehr in der Vergangenheit und haben kein ausreichendes Problembewusstsein entwickelt, um eine neue Welt zu verstehen.

TrümmerDie gute alte Zeit

Das europäische Gesellschaftsmodell des Sozialstaates stand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für steigenden und gesicherten Wohlstand, den die „soziale Marktwirtschaft“ für breite Gesellschaftsschichten hervorbrachte. Vor allem in Deutschland und Österreich galt das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit als ein vielbeachtetes Beispiel für demokratischen Wiederaufbau im gesellschaftlichen Konsens und unter Aufbau eines Sozialstaates, der alle Teile der Gesellschaft auf die Reise zu mehr Wohlstand mitgenommen hat. Beachtliche Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes gingen Hand in Hand mit breiter Wohlstandsmehrung und gleichzeitig gesellschaftspolitischer Liberalisierung. Dies war bereits unmittelbar nach der Befreiung von der Nazidiktatur massiv spürbar und verstärkte sich dann nochmals im Nachgang der 68er Jahre. Umso beachtlicher war diese Entwicklung, wenn man bedenkt, dass all dies aus den Trümmern der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts heraus entstanden ist.

ÖlbohrturmVon einer Krise in die nächste

Der erste große Dämpfer war als Folge der Ölschocks in den 1970er Jahren spürbar. Damals begann das Wachstum zu stagnieren und gleichzeitig bildete sich eine hartnäckig verharrende hohe Inflation heraus. Man sprach von „Stagflation“, die Europa und die USA beutelte.Fauler Löwe

 

Nach der Ölkrise bewegte sich die Wachstumskurve wieder nach oben, wenngleich nicht mehr mit denselben Wachstumsraten wie vorher. Eine möglicherweise nachhaltige Veränderung in Richtung sehr geringe Wachstumsraten ist seit der letzten großen Finanzkrise ab dem Jahr 2008 festzustellen. Die Wachstumsraten liegen seither im Schnitt unterhalb des Produktivitätsfortschritts der betreffenden Volkswirtschaften. Aussagekräftig sind im Zeitverlauf selbstverständlich nur reale Wachstumsraten, da andernfalls die unterschiedlichen Inflationsraten im Zeitverlauf einen Vergleich verzerren. In Summe leben wir im deutschsprachigen Raum in einem sicheren Umfeld mit breit verteiltem Wohlstand und einem hohen gesellschaftlichen Vermögensstock. Dies macht wahrscheinlich in gewissem Umfang satt und träge. Aber es sollte uns nichts Schlimmeres passieren.

Asien auf der Überholspur

Dennoch aber kann man die Augen nicht davor verschließen, dass wir im Vergleich zu anderen Weltregionen trotz hohem absolutem Wohlstandsniveaus relativ verlieren. Das bedeutet, dass andere Länder, insbesondere in Asien, aufholen und uns bereits in manchen Aspekten überholen. Wir empfinden das noch nicht als Niedergang, aber wenn unsere Volkswirtschaften relativ laufend verlieren, dann wird das zu Kapitalallokationen führen, die unser Gesellschaftsmodell mittel- und langfristig zumindest in Frage stellen. Es nützt wenig, sich damit zu trösten, dass historisch betrachtet alle Imperien einem Niedergang unterworfen waren und wir uns mit weniger bescheiden werden müssen. Ein Verharren auf niedrigerem Niveau ist in einem dynamischen Umfeld langfristig nicht möglich. Verlieren wir unsere Wettbewerbsfähigkeit, so verlieren wir alles! Es stabilisiert sich dann nicht der Wohlstand auf bestehendem oder etwas niedrigerem Niveau. Unsere Gesellschaften drohen dann in Zuständen zu versinken, die wir uns lieber nicht ausmalen wollen. Das Geschwätz, dass Wachstum nicht immer so weitergehen kann, verkennt völlig, dass „ökonomisches“ Wachstum in Geldeinheiten und Wohlstandniveau gemessen wird, nicht in Metern oder Kilogramm. Abstrakte Größen aber unterliegen nicht natürlichen Grenzen wie physische Einheiten. Das nicht wahrhaben zu wollen und sich aus Trägheit mit der Entwicklung abzufinden wäre wirklich ein Zeichen von Dekadenz!

WachstumDer verschuldete Wohlstand

Wachstum und Wohlstand weisen unbestrittenermaßen eine starke Korrelation auf, wenn auch vor allem in akademischen Diskussionen die Aussagekraft des BIP immer wieder in Frage gestellt wird. Das BIP pro Kopf wäre aber vor allem dann in seiner Aussagekraft als Wohlstandsindikator eingeschränkt, wenn die Einkommensverteilung in einem Land sehr ungleich wäre, da es dann allenfalls nur wenigen zu Gute kommen würde. Genau das ist aber in Deutschland und auch in Österreich nicht der Fall, wie internationale Vergleiche eindeutig zeigen. Auch gibt es entgegen landläufiger Meinungen keine eindeutige Korrelation zwischen der Verschuldung eines Landes und dem Wohlstandsniveau. Erst bei Überschreiten einer (allerdings meines Erachtens nicht starr zu definierenden) absoluten Höhe der Verschuldung in Relation zum BIP scheint eine Wachstumsbremse zu greifen. In einer Welt der Flutung der Finanzmärkte mit Geld der Notenbanken ist aber selbst diese Aussage wahrscheinlich zu relativieren.

 

Die Kontroverse zwischen dem Harvard-Ökonomen und früheren Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds Kenneth Rogoff und dem linksliberalen Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman rückte das Thema “Staatsverschuldung und Wachstum” für politische Diskussionen wieder in den Mittelpunkt. Wieder einmal wurde für jeden kritischen Beobachter sichtbar, dass ideologische Hypothesen – auch wenn sie sich unter dem Deckmantel der Wissenschaft präsentieren – in der anschließenden politischen Diskussion vor allem von Aggression gegenüber dem Gegner und Rechtfertigungsversuchen für die eigene politische Position geprägt sind. Während die politische Rechte sich mit Rogoff identifizierte, sympathisierte die Linke wie eh und je mit Krugman.

GespenstEin Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Inflation

Wie sehr Ideologie vernünftigen Menschenverstand vor allem im Bereich der Volkswirtschaft verdrängt, ist seit der letzten Finanzkrise besonders evident. Man möge sich nur das über viele Jahre vor allem in Deutschland zu vernehmende Gejammer über eine drohende Inflation, ja sogar vielleicht eine Hyperinflation auf der Zunge zergehen lassen. Die scheinbar unverantwortliche Politik der Europäischen Zentralbank – die im Übrigen viel defensiver in ihrer Geldpolitik war als die Notenbanken in den USA und Japan – würde unser Geld zerstören und Inflation erzeugen ohne ihre anderen wirtschaftspolitischen Ziele zu erreichen. Mittlerweile befindet sich Europa auf einem Wachstumspfad und von unerwünschter Inflation – vor allem von Kerninflation – ist keine Spur zu sehen. Es ist bestenfalls gelungen, das Deflationsgespenst zu bannen.

BrotkorbAuf der Suche nach der Wahrheit?

Das reflexartige Anwenden ideologisch gefärbter Rezepte (Monetarismus contra Keynesianismus) ist typisch für unpragmatisches, politisch motiviertes Argumentieren, wofür sich Volkswirte seit jeher gerne instrumentalisieren lassen. Wen wundert es, beschäftigt werden sie ja vor allem von öffentlichen oder halböffentlichen Institutionen sowie von Banken, also von Brotkörben, die konkrete Interessen verfolgen und nicht primär eine letztgültige Wahrheit suchen. Ich denke daher nicht, dass all dies einfach Fehlprognosen waren, die von kritischen Fachleuten nach bestem Wissen und Gewissen erstellt wurden. Entweder sind manche Leute ideologisch so verblendet, dass sie nicht anders können, als ohne Berücksichtigung konkreter Gegebenheiten historische Kochrezepte blindlings anzuwenden, oder aber sie sind willfährige Söldner politischer Akteure. Noch schlimmer wäre es allerdings, wenn sie schlicht nicht wissen, wovon sie sprechen.

FliegeMay I have your attention, please?

Betrachtet man politische Diskussionsformate in den Medien, dann geht es immer mehr um Selbstdarstellung in wenigen Sätzen, um überraschende „Sager“ und emotionale Effekte, um starke Bilder und einprägsame Worte. Während „Politsprech“ als inhaltsleere Worthülsen aalglatter Politfunktionäre ausgedient hat, gewinnt Inszenierung an Bedeutung. Ähnlich wie in Onlineformaten muss auch in klassischen Medien die Aufmerksamkeitsspanne der Konsumenten von wenigen Minuten oder Sekunden ausgenutzt werden. Plakative Postulate ersetzen stringente Argumente. Willkommen in der Unterhaltungsindustrie, Sektion Politik!

Zeig was du hast

Sind es diese Entwicklungen, die uns ins Hintertreffen führen? Verlieren wir deshalb global immer mehr den Anschluss? Ich denke nicht, dass dies entscheidend ist, es stellt bestenfalls die Begleitmusik dar. Wir selbst – nicht jeder Einzelne, aber die Gesellschaft als Kollektiv – haben eine verzerrte Wahrnehmung. Wer seine Realität aus seiner persönlichen Erfahrung sowie aus den ihm aktuell zugänglichen Erkenntnisquellen konstruiert, muss beinahe zwangsläufig übersehen, was realiter passiert. Nicht jeder bereist laufend die ganze Welt. Nicht jeder liest täglich relevante Literatur oder erlebt im beruflichen Alltag, was Globalisierung bedeutet. Er hört und sieht das, was seine ihm unmittelbar zugängliche Umwelt als Mainstream-Weltbild vermittelt. Hier bei uns ist das eine grundsätzlich ruhige, heile Welt, während draußen in der Welt Kriege, Naturkatastrophen und Armut herrschen. Es sind Werte wie Bewahren und Erhalten, Sichern und Weitergeben, Solidarität und Bescheidenheit, die unsere Denktradition prägen. Werte wie Aufbruch, Veränderungsbereitschaft, Risikobereitschaft, Gewinnen wollen, oder gar „Think Big“ gehören nicht dazu. Bescheidenheit ist angesagt, zu viel Ehrgeiz gilt als sündhaft. Wer zu viel besitzt, sollte es am besten verbergen. Erfolg zur Schau zu stellen gilt in Europa als unstatthaft. Und wer einmal scheitert, der hat es wohl verdient, weil er sich zu weit aus der Deckung gewagt hat.

Es kommt niemand gern vom Pferd auf den Esel

Wir leben nach wie vor orientiert an traditionellen Werten und im persönlichen Glauben, dass das westliche Gesellschaftsmodell als historische Erfolgsgeschichte Vorbild und Lehrmeister für die Welt sei. Dabei entgeht uns, dass wir uns auf einer schrägen Ebene befinden. Der Abstieg findet schleichend statt, aber er beschleunigt sich zusehends. Die Welt hat sich grundlegend verändert. Und die Veränderung hat auch bei jenen, die derzeit aufholen, zu berechtigtem Selbstbewusstsein geführt. Und diese Veränderung erfolgt nicht nur auf der Ebene von Technologien, von Urbanisierung oder von Demografie. Es kommt auch bei uns zu einer Verschiebung sozialer Gegebenheiten und von Werten, die aus neu emporsteigenden Gesellschaften in unsere Systeme migrieren.

UnwohlseinStärken Sie Ihre Abwehrkräfte!

Dies nehmen wir noch nicht ausreichend wahr oder verdrängen es schlicht. Mangelndes Problembewusstsein verhindert aber auch ein aktives Gegensteuern. Es wäre objektiv aufgrund des Kapitalstocks des Westens, des in der Breite vorhandenen Wissens und Ausbildungsniveaus, der militärischen Ressourcen sowie der starkenVerankerung in einer Vielzahl internationaler Organisationen nicht zu spät, aus der Lethargie zu erwachen und der unbefriedigenden Entwicklung aktiv etwas entgegenzusetzen. Was im Bereich der Wirtschaft als selbstverständlich gilt, nämlich Umfeldbedingungen laufend auf Veränderungen zu prüfen und dann zu entscheiden, ob beisteuernde Maßnahmen oder aber auch ein Richtungswechsel sinnvoll oder notwendig sind, wird im Bereich der Politik negiert. Aber auch in der Breite der Bevölkerung findet ein derartiges „Controlling“ für die eigene Lebensplanung derzeit schlicht nicht statt. Je stärker jedoch ein allgemeines Unwohlsein breiter Bevölkerungskreise um sich greift, umso eher besteht Hoffnung auf Besserung. Und dieses Unwohlsein hat die Grenze zum Brechreiz langsam erreicht. Somit könnte die Hoffnung auf Besserung gerechtfertigt sein. Wir werden bald sehen, ob dies mehr als eine leere Hoffnung ist.Abstieg

 

 

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