Politische Scheinargumente vernebeln strukturelle Realitäten

Steigende Staatsschulden scheinen unabwendbar, solange strukturelle Reformen in der Realverfassung des Staates nicht durch Leidensdruck erzwungen werden oder massiver Druck von außen das System verändert. Das gilt aber nur für politische Systeme, die Wählerstimmen kaufen müssen. Europäische Reformresistenz könnte gefährlich werden.

Populist

Der politische Diskurs hierzulande ist geprägt von ideologisch verzerrten Sichtweisen, die den Blick auf ein tiefer liegendes Problem verdecken. Langfristig sind es nicht die “wirtschaftsfeindlichen Linken” oder die “kapitalistischen Konservativen”, die den Ausschlag geben, sondern das gesamte politische System eines Landes, welches das Wohlstandsniveau und die Zukunftsperspektiven entscheidend prägen. Agiert das Land strategisch, berechenbar und verlässlich – idealerweise auf solider rechtsstaatlicher Basis – so stehen die Chancen besser, als wenn Berechenbarkeit in den Sternen steht. Wenn das nächste Wahlergebnis über allem anderen steht und das Vertrauen der Bevölkerung in die gesellschaftlichen Eliten erschüttert ist, dann schlägt die Stunde der Populisten. Wenn Volksabstimmungen über Themen, welche die Vox Populi nicht einmal ansatzweise versteht, politische Systeme sprengen können (Brexit) und eine neue Regierung alles ins Gegenteil verkehren kann, was die Vorgängerregierung verfolgt hat (siehe USA), dann kann Politik als Entertainmentprogramm zwar Diskussionsforen aktivieren, kaum aber Wohlstand sichern. Glückliches Singapur, dort ist so etwas bislang unvorstellbar. Aber auch in der Schweiz wäre eine derartige Entwicklung nicht denkbar, ebenso wenig in Liechtenstein. Und in China sowieso nicht.

Schulden – eine Sache der Regierung

Robert Poth hat einmal veranschaulicht, wie sich die Entwicklung der Staatsschulden in Österreich seit der ersten Regierung Kreisky 1970 bis zur Jahrtausendwende dargestellt hat. Wenn man die Betrachtung bis heute fortsetzt, zeigt sich in der Tendenz ein eindeutiges Bild, das übrigens nicht nur für Österreich typisch ist. Auch wenn Staaten Meister darin sind, die statistischen Basisdaten laufend zu verändern, um Langfristvergleiche zu erschweren, so lassen sich dennoch Aussagen treffen. Lediglich in der Zeit der ÖVP-FPÖ-Regierung verlief der Anstieg der Schulden etwas langsamer. Dort fanden aber auch Privatisierungen statt, was den betroffenen Unternehmen außerordentlich guttat und zusätzliches Geld in die Staatskassen spülte.

Österreich

Noch heute wird ja in Österreich politisch argumentiert, dass die Staatsverschuldung eine Erbsünde der Sozialdemokratie sei, die damit begonnen habe, dass der damalige sozialistische Bundeskanzler Kreisky (1970-1982) Früchte vom Baum der Sünde (staatliche Verschuldung) gepflückt habe. Wichtig zu wissen ist, dass dem kriegsgeschädigten Land mit neuer Währung praktisch erst in den 1960er Jahren öffentliche Schuldaufnahme auf den Kapitalmärkten wirklich möglich war, diese aber bei Antritt der Regierung Kreisky auch bereits 13% des BIP betragen hat.

Ansichtssache

Statistik ist immer relativ. Zieht man die Daten internationaler Institutionen heran (beispielsweise die des Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank), dann ist die gesamtstaatliche Verschuldung noch wesentlich höher. Das liegt an der Art der Berechnung. Würde man zusätzlich auch noch zukünftigen Pensionsverpflichtungen zur Staatsschuld hinzurechnen, so stellt sich die Staatsverschuldung schließlich noch um ein Vielfaches dramatischer dar. Da wir im Bereich der Pensionen in Österreich ein Umlageverfahren haben, werden Pensionsverpflichtungen nicht aus einem bestehenden Kapitalstock bedient, wie dies beim Kapitaldeckungsverfahren (z.B. in der Schweiz) der Fall ist. Dennoch werden diese Verpflichtungen nicht in die Staatsschuld eingerechnet, weshalb sich die Verschuldungssituation optisch in Österreich (aber nicht nur hier) viel besser darstellt, als es sonst der Fall wäre. Wie hoch die Schulden nach welcher Berechnungsart auch immer nun aber sein mögen, es ändert sich an der grundsätzlichen Aussage nichts. Sie steigen seit Jahrzehnten ungehindert an, auch in Jahren, in denen die Zinsen extrem niedrig waren. Das ist – wie auch in vielen anderen westlichen Demokratien – dem politischen System Österreichs geschuldet.

Ausklammerung des Gemeinwohls

Dies soll die österreichische Sozialdemokratie als bis dato führende politische Kraft dieses Landes, die fast durchgehend immer den Bundeskanzler stellte, nicht reinwaschen von der Verschuldungssituation der Republik Österreich. Realpolitisch hat während dieser Periode in Österreich aber immer die Sozialpartnerschaft geherrscht, wunderbar aufgeteilt in schwarze und rote Institutionen. Diese wurde dann während eines schwarz-blauen Regierungsintermezzos einmal kurz geschwächt. Sie hat sich aber in der Folge unter einer rot-schwarzen Regierungskoalition zu alter Stärke emporgeschwungen. Das Problem liegt daher naturgemäß tiefer, es ist in der DNA der österreichischen Realverfassung verankert. Es gibt keinen wirklichen Konflikt zwischen Ideologien in Österreich, dafür gab es bisher umso größere Kooperation hinter den Kulissen, einen systematischen Ausgleich von Klientelinteressen. Ideologien haben allenfalls als Staffage auf der Bühne der Rhetorik Bedeutung. Warum ist das so? Haben sich die politischen Eliten gegen leistungswillige Bürger verschworen? Ich denke nicht, es ist wohl schlimmer. Unser politisch-wirtschaftliches System ist während eines historischen Zeitfensters in der westlichen Hemisphäre zur Hochblüte gelangt, konnte sich aber noch nicht den geänderten globalen und technologischen Gegebenheiten anpassen, die unsere Gesellschaften erfasst haben. Darüber werde ich demnächst noch mehr schreiben. Ich denke, dass wir im Augenblick ein fehlgeleitetes Demokratie- und Werteverständnis als Ideal hochhalten. Das paralysiert und hindert uns daran, Strukturen aufzubrechen und unseren Blickwinkel zu verändern.

Es ist aber nicht nur die Reformresistenz, die uns bedroht. Auch die Orientierung an Idealen, die unser Handeln an Motiven und nicht an Ergebnissen ausrichtet – Gesinnungsethik statt Verantwortungsethik – trägt dazu bei, dass wir ungünstige Entscheidungen treffen. Exemplarisch seien Themen wie der europäische Umgang mit der Flüchtlingsfrage, die universelle Gültigkeit von (westlich definierten) Menschenrechten oder die Durchsetzung „demokratischer“ Staatsformen in kulturell anders geprägten Gesellschaften genannt. Unser Sendungsbewusstsein erinnert an den missionarischen Eifer zu Zeiten des Kolonialismus. Nichts Derartiges ist zu entdecken, wenn China beispielweise in Afrika derzeit seine Interessen neu ordnet.China_Afrika

Toleranzprinzip

Sehr wohl echauffieren wir uns über den Fundamentalismus manch religiöser Strömungen. Gleichzeitig sind wir aber zu selbstgefällig, unsere Schrebergartenmentalität zugunsten einer globalen Perspektive aufzugeben. Es sollten unsere Interessen sein, die unser Handeln lenken. Unsere Überzeugungen und Werte dürfen wir natürlich behalten, müssen sie aber nicht anderen mit erhobenem Zeigefinger aufdrängen. Toleranz und Nichteinmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten bedeutet auch, dass wir Augenmaß und Bescheidenheit walten lassen sollten in der Gestaltung unserer internationalen Beziehungen. Sonst verlieren wir laufend Boden auf dem internationalen Parkett infolge selbstgefälliger Ignoranz. Das kostet Wachstum und Wohlstand. Und es wäre naiv zu glauben, dass das bei uns friedlich vonstattengehen wird und nur ein „etwas weniger von allem“ bedeutet. Wir müssten uns dann wohl auf eine gänzlich veränderte gesellschaftliche Situation einstellen. Die Geschichte hat gezeigt, dass lange Zeiten von Frieden und Wohlstandsmehrung Ausnahmen waren.

Permanenter Wahlkampf

Warum aber betonen westliche Politiker bei Staatsbesuchen immer wieder die Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten, obgleich sie natürlich lieber mit Geschäftsabschlüssen nach Hause fahren würden. Und warum nehmen illiberale Demokratien oder autoritäre Systeme die in der Regel schaumgebremsten und wohldosierten „Anregungen“ ihrer Gesprächspartner mit freundlichem Lächeln zur Kenntnis, statt sie als freche Anmaßungen zurückzuweisen. Weil sie nur zu genau wissen, dass westliche Politiker ihre diesbezüglichen Phrasen nur für ihre eigene Wählerschaft zum Besten geben. Sie sehen diesen zaghaften Aktionismus als unvermeidliches Ritual westlicher Politiker, um nicht im eigenen Land von der Opposition oder von sonstigen Aktivisten an den Pranger gestellt zu werden. Schlimmer wird es aber dann, wenn der Ruf nach Sanktionen laut wird oder die Unterlassung gewisser Geschäfte (z.B. Rüstungsgeschäfte) gefordert wird. Dann entstehen echte Interessenkonflikte, die einen systematischen Nachteil insbesondere für Europa bedeuten.Wahlen

 

Solange man innenpolitisch die Moralkeule schwingen kann und damit dem eigentlichen Zahler, nämlich dem Wähler, seine Charakterfestigkeit als Politiker vor Augen hält, werden das europäische Politiker naturgemäß tun. Amerikanische Politiker beziehen ihre Finanzierung aber zu einem überwiegenden Teil aus privaten Quellen und die Geldgeber erwarten konkrete Ergebnisse. Dies mag vielleicht den wesentlichen Unterschied ausmachen. Ich bewerte damit aber nicht das US-System als grundsätzlich überlegen (es hat manche andere Schwäche), sondern versuche zu erklären, warum wir in der Durchsetzung unserer Interessen weniger effektiv sind als die Amerikaner.

Die Regentschaft erhalten

Anders ist es in den USA, die sich zumindest in der Vergangenheit regelmäßig im Gegensatz zu Europa von direkten Interessen und nicht von demonstrativ zur Schau gestelltem Gutmenschentum leiten ließen. Warum ist es aber gerade Europa, das seine strategischen Interessen nicht klar durchzusetzen vermag? Die Antwort ist relativ einfach: „Wer zahlt, schafft an“. Weil politische Parteien in Europa viel stärker aus der Staatskasse heraus finanziert werden als in den USA, muss man sich ansehen, wer am Ende in Europa über die Mittelverteilung an die Parteien entscheidet. Dies entscheidet sich über die Realverfassung des jeweiligen Landes. Es sind jedenfalls nicht hauptsächlich privatwirtschaftlich motivierte Institutionen, sondern am Machterhalt interessierte Funktionärs- und Interessengruppen sowie nicht im Privateigentum stehende Institutionen. Es besteht somit sowohl in Europa als auch in den USA ein Zwang zur Rationalität gegenüber dem Geldgeber. Nur ist das Ziel des rationalen Handelns ein jeweils anderes.

EU USA

Wenn in Europa Machterhalt die oberste Zielsetzung der hinter den politischen Gallionsfiguren stehenden Akteure ist, dann ist das etwas grundsätzlich Anderes, als wenn in den USA Lobbyisten die betriebswirtschaftlichen Interessen ihrer Klienten als oberste Zielsetzung im Auge haben. Wenn Machterhalt über Wählerbestechung funktioniert, dann wird das modellhaft gesprochen in Europa geschehen. Ebenso wie in den USA militärischer Interventionismus zur Vertretung der Interessen ganzer Industrien aus diesem Blickwinkel heraus logisch erscheint.

Finanzierung des Politikapparats

Die unterschiedliche Finanzierung von „Politik“ dürfte auch der Grund dafür sein, warum die Vereinigten Staaten beispielsweise viel höhere Mittel für militärische Zwecke (einschließlich Kriege) aufwenden als europäische Staaten. Militärische Stärke wird dort als Investition in die außenpolitische und wirtschaftliche Stärke der USA betrachtet. Nicht umsonst spricht man in diesem Zusammenhang vom „militärisch-industriellen Komplex“. Damit lässt sich der „Financier von Politik“ (die über Lobbyismus mit der Politik verbundenen Geldgeber) zufriedenstellen. Ganz anders ist die Situation diesseits des Atlantiks. In Europa werden öffentliche Mittel stattdessen eher in Staatskonsum, sprich Sozialleistungen und Subventionen gesteckt. Das stellt den europäischen Financier von Politik (die Steuerzahler) am ehesten zufrieden.money-shark-1612252_1920

Auf mittelalterliche Minnesänger geht der Spruch zurück: „Wes Brot ich ess, dess Lied ich sing“. Minnesänger mussten sich ihrem Mäzen andienen, indem sie ihn im Lied verherrlichten, dafür wurden sie bezahlt. Wenn sie dann weiterzogen zur nächsten Burg, dann gibt es einen neuen Mäzen, darum wurde dann wieder ein anderes Lied gesungen. Heute würde man das als „situationselastischen Politikstil“ bezeichen.

Eidgenössisches Walhalla

Das alles gilt im übertragenen Sinn natürlich heute wie schon eh und je für den Politikbetrieb. Es ist nichts grundsätzlich Neues. Man muss also unterscheiden: Wer finanziert den Politikapparat? Der ist jeweils inhaltlich (also durch die Ergebnisse der Politik) zufriedenzustellen. Davon zu unterscheiden ist der Wähler, der durch ein geeignetes Unterhaltungsprogramm und durch gezielte Beeinflussung dazu zu bringen ist, seine Stimme im Sinne eines Kandidaten oder einer Partei abzugeben. Die Mittel der Financiers von Politik dienen also aus Sicht der Politiker dazu, Stimmenmaximierung betreiben zu können. Die angestrebten Ziele der Realpolitik sind jedoch von der Geräuschkulisse im Politikalltag streng zu unterscheiden. Das Lobbyistenmodell der Politikfinanzierung führt somit tendenziell zu Politikerbestechung, die öffentliche Parteienfinanzierung zu Wählerbestechung. Dem Westen bleibt scheinbar nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. SchweizMan könnte das beinahe glauben, gäbe es da nicht noch die Schweiz! Diesem kleinen Land ist es gelungen, mit ihrem Modell der Konkordanzdemokratie, gekoppelt mit einer schon fast ins Extrem ausgebauten direkten Demokratie, zwar nicht das Paradies auf Erden zu schaffen, aber vielleicht eine politische Vorstufe dazu.

 

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