Künstliche Intelligenz wird häufig mit Startups assoziiert. Das stimmt zum Teil und treibt die Entwicklung weltweit. Das wahre Rennen um die Ausbeutung von Deep Learning und weitere fundamentale Durchbrüche findet vor allem im Silicon Valley und in China statt. Und dort sitzen auch die wahren Giganten. Industrie 4.0 wurde in Deutschland erfunden. Umgesetzt wird sie demnächst hauptsächlich andernorts.
Die USA sind aktuell das Land, in dem sich die meisten Startups (etwa 1400) dem Thema künstliche Intelligenz („KI“) verschrieben haben. In Europa entwickeln aktuell etwa 700 Startups Technologien rund um das Thema künstliche Intelligenz. Allein in Israel sind es heute etwa 400. Diese Zahlen beziehen sich auf Startups und spiegeln die Problematik, in der sich Europa befindet, aber nur unzureichend wider. Google alleine arbeitet an etwa 1000 Projekten rund um das Thema künstliche Intelligenz.
Vor allem China hat sich zum Ziel gesetzt, sehr bald weltweit die führende Nation im Bereich KI zu werden. Präsident Xi Jinping hat seine Einstellung anlässlich einer programmatischen Parteitagsrede 2017 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: „Es gilt, die tief greifende Integration von Internet, Big Data, künstlicher Intelligenz und der Realwirtschaft zu fördern.“ Bei der KI gehe es um „DIE strategische Technologie der Zukunft“. Nicht zuletzt sind es auch Plattformen, die in Form von Daten die Grundlage für die Evolution künstlicher Intelligenz liefern. Dass Plattformen unser ökonomisches System verändern, wird uns erst langsam bewusst.
Europa ist völlig fehlgeleitet und hinkt hoffnungslos hinterher
Währenddessen diskutiert das Europaparlament darüber, ob künstliche Intelligenzen als elektronische Personen gelten sollten. Die deutsche Bundesnetzagentur verbietet die „kluge“ Puppe Cayla, weil sie im Kinderzimmer jedes gesprochene Wort aufzeichnet. Gleichzeitig stellen sich aber unzählige Europäer Alexa von Google ins Wohnzimmer, weil man so herrlich mit ihr kommunizieren kann. Ein brauchbarer strategischer Ansatz zum Thema KI ist von europäischen Politikern weit und breit nicht zu hören. Stattdessen steht Datenschutz ganz groß auf der Tagesordnung. Das lässt sich politisch leichter als Sorge um den „kleinen Mann“ vermarkten.
Nachdem Industrie 4.0 aber von künstlicher Intelligenz lebt, ist das eine schlechte Nachricht für Europa. Letztlich wird dies tendenziell die Reindustrialisierung der USA fördern, die Deindustrialisierung Europas begünstigen und die Industrie Chinas auf ein völlig neues Niveau heben. Denn das Zusammenwirken von Robotik und künstlicher Intelligenz gilt als der nächste große Meilenstein in der Entwicklung intelligenter Maschinen. Dazu braucht es Unmengen an Daten und die werden vor allem von Plattformen erhoben. Aber auch im Bereich der Plattformökonomie hinkt Europa entscheidend hinterher:
Quelle: https://inform.tmforum.org/features-and-analysis/2016/09/regulating-platforms-land-not-free/, Zugriff: 25.05.2018
Sieben Forschungslabore sind die eigentlichen globalen KI-Giganten
Die neuen Giganten im Bereich Deep Learing (dem aktuellen Hotspot im Bereich KI) befinden sich samt und sonders in den USA und in China: Google, Facebook, Amazon, Microsoft, Baidu, Alibaba und Tencent. Anders als es bei Startups der Fall ist, handelt es sich bei diesen Techgiganten um relativ abgeschlossene Systeme, die Talente und Ressourcen in einem Ausmaß bündeln, wie es früher nur großen Volkswirtschaften möglich war. Während noch (!) die besten Köpfe nach wie vor in den USA sitzen, wirkt die schiere Menge an hoch qualifizierten KI-Ingenieuren sowie der staatliche Support in China erdrückend. Europa ist quasi inexistent in dieser Welt der KI-Corporates. Gelänge einem dieser Giganten zeitnah ein neuer Durchbruch im Bereich Deep Learing, so könnte daraus ein unüberwindlicher Vorsprung für den Gewinner entstehen. Eine derartige Entwicklung ist jedoch bislang nicht erkennbar.
Es zeichnet sich immer mehr ab, dass der Vorsprung dieser sieben Giganten in der Nutzung der bestehenden Deep-Learning-Technologien gegenüber Universitäten oder Startups zunimmt, weil bei praktischen Blockbuster-Anwendungen niemand anderer über derartige Datenmengen und Rechenleistung verfügt. Folglich konzentrieren sich Universitäten und Startups vermehrt darauf, “the next big thing” zu entdecken.
Gemäß dem Marktanalyseunternehmen CB-Insights zog China 2017 48% aller weltweiten Investitionen im Bereich KI an. Dies ist mehr als die USA, wo 38% aller Gelder hingingen. Dass selbst sehr kleine Staaten ausgesprochen aktiv und auch attraktiv für KI sein können, beweist Israel, das in diesem Segment weltweit mit an der Spitze ist. Nur Europa schläft.
Google ist eine Klasse für sich
Sollte die nächste Generation im Bereich Deep Learning aus der Welt der Corporates kommen, so hat Google die besten Aussichten. Alphabet, die Google-Holding, die auch DeepMind und Waymo (autonomes Fahren) besitzt, hat die meisten Ressourcen, sowohl in Hinblick auf Weltklasse-Forscher als auch hinsichtlich budgetärer Ressourcen. Das gesamte US-Forschungsbudget für Mathematik und Computerwissenschaften beträgt weniger als die Hälfte von Googles eigenem R&D-Budget.
Daher ist es Google auch gelungen, rund die Hälfte der 100 weltbesten KI-Forscher an sich zu binden. Die restlichen 50 verteilen sich auf die hauptsächlich auf die anderen Corporates wie Facebook, Amazon, Microsoft, Baidu, Alibaba und Tencent, auf eine Handvoll Startups sowie auf die akademische Welt.
Auch die anderen KI-Giganten schlafen nicht und setzen unterschiedliche Schwerpunkte
Microsoft und Facebook haben einen wesentlichen Teil der verbliebenen Top-Researcher auf sich vereint. Facebook hat beispielsweise den Superstar-Forscher Yann LeCun an sich gebunden. Von den chinesischen Giganten war Baidu der erste, der in die Deep-Learning-Forschung eingestiegen ist. Baidu wollte auch Geoffrey Hinton´s startup kaufen, bevor es von Google 2013 überboten wurde. 2014 gelang Baidu allerdings ein wichtiger Coup, als der chinesische Gigant den Top-Researcher Andrew Y. Ng für Baidus Silicon Valley KI-Lab rekrutierte. Bereits 2015 gelang Baidu dadurch ein Durchbruch im Bereich chinesische Spracherkennung. Ein Jahr später folgte Microsoft für englische Spracherkennung.
Tencent verfügt wahrscheinlich über den umfangreichsten Datenschatz aller KI-Giganten. WeChat ist die all-in-one-SuperApp des weltweit größten Internetmarktes Chinas. Dadurch gelingt es dem Konzern zunehmend, Top-Researcher für sich zu gewinnen. 2017 eröffnete Tencent ein KI-Forschungsinstitut in Seattle und warb umgehend Microsoft-Forscher dafür ab.
Ähnlich wie Tencent ist Alibaba relativ spät in das Rennen um KI-Überlegenheit eingestiegen. Seitdem hat Alibaba allerdings umfassend mit dem Aufbau von global vernetzten Forschungszentren begonnen, einschließlich Laboratorien im Silicon Valley und in Seattle. Ähnlich wie Tencent konzentriert sich Alibaba stark auf produktgetriebene Entwicklungen. Alibaba ist führend im Bereich “City-Brains”, also KI-getriebene Dienstleistungen in Städten, die sich auf massive Datenbestände aus Videokameras, Bezahldiensten, Social Media, öffentlichem Verkehr etc. stützen.
Warum China gegenüber den USA systematisch in Vorteil gelangen könnte
China generiert bereits jetzt wesentlich mehr Daten als die USA. Zudem sind die Daten “wertvoller”, weil sie von Hunderten von Millionen Chinesen real in allen Lebenslagen mobil erzeugt werden, während die Daten in den USA oft vor allem aus sozialen Netzwerken stammen.
Entscheidend für die Beurteilung der Zukunft ist jedoch die Tatsache, dass mittlerweile ein wesentlicher Teil der abstrakten KI-Forschung bereits so weit fortgeschritten ist, dass die konkrete Umsetzung in zahlreichen Industrien bevorsteht. Die unglaubliche Vielfalt und die für unser Denken unvorstellbare Wettbewerbsintensität, der sich chinesische Unternehmen im Bereich KI ausgesetzt sehen, werden für eine schnelle und sehr konkrete Implementierung sorgen. KI ist dem Bereich der Forschung entwachsen und im Bereich der Implementierung angelangt.
Die USA haben zurzeit noch die klügsten Köpfe, China jedoch den größten Markt und ein viel radikaleres und brutaleres Wettbewerbsumfeld. Ein Großteil der prominentesten KI-Forscher Chinas haben an Ivy-League-Universitäten studiert. Chinesische Startups eröffnen Dependancen im Silicon Valley. Aber auch Amerikaner pendeln regelmäßig nach China. Vor kurzem wurde bekanntgegeben, dass chinesische Eliteuniversitäten wie Tsinghua und Fudan zur Entwicklung von KI Forschungsallianzen mit dem MIT sowie mit Universitäten aus Australien und Singapur eingehen. Keine einzige europäische Universität sitzt dabei mit am Tisch.
Der “Netzapproach” der Corporates steht gegen den “Batterieansatz” der Startups
Vergleicht man KI mit der Stromversorgung, so wählen die sieben großen Corporates den Ansatz von Versorgern, die Kraftwerk- und Netzbetreiber gleichzeitig sein wollen. Startups ähneln eher einer dezentralen Stromversorgung durch Batterien, die spezifische Anwendungen mit mobilem Strom versorgen. Der Ausgang dieses Rennens wird darüber entscheiden, wie der zukünftige KI-Markt aussehen wird: Monopole, Oligopole oder polipolistischer Wettbewerb zwischen Hunderten oder Tausenden von Anbietern.
Der Ansatz der “Netzbetreiber” zielt darauf ab, KI zu einem Standardprodukt zu machen, das durch viele Kunden der Giganten gekauft oder über Cloud-Plattformen genutzt werden kann. Hier treten dann Cloud-Plattformen auf, die komplexes maschinelles Lernen auf all jene Daten anwenden, die Kunden zur Verfügung stellen. Die Unternehmen hinter diesen Plattformen – die KI-Giganten wie Google, Amazon oder Alibaba – handeln wie Stromversorger, die das Netz betreiben und den Strom zur Verfügung stellen. Dafür kassieren sie dann Gebühren. Googles Tensor-Flow ist eine erste, noch verbesserungsbedürftige Anwendung in diese Richtung.
KI-Startups operieren dagegen hochspezialisiert. Anstatt ein “Leitungsnetz” zu betreiben, befeuern sie durch dezentrale “Batterien” hochspezifische KI-Produkte. Diese KI-Produkte werden für jeweils ganz konkrete Usecases entwickelt. Anstatt allgemeingültige Deep-Learning-Fähigkeiten bereitzustellen, entwickeln sie neue Produkte und trainieren ihre Algorithmen für spezielle Aufgaben wie medizinische Diagnosen, Kreditvergaben oder autonome Drohnen. Während die Techgiganten versuchen, ihre Kunden durch KI wettbewerbsfähiger zu machen, versuchen die Startups, Branchen (und somit klassische Kunden der Giganten) durch Disruption umzukrempeln und traditionelle Geschäftsmodelle zu ersetzen.
Wie China seine KI-Technologie auf die Überholspur bringt
Das Silicon Valley stand für Jahrzehnte an der Spitze der globalen KI-Forschung. Nunmehr ist aber ein massiver geopolitischer Wandel zu erkennen. Im Zeitalter der Implementierung von Künstlicher Intelligenz (“KI”) erscheint China kaum zu schlagen. Das hat auch fundamentale politische Gründe – und es ist eine Frage der Ressourcen.
Wer eine KI-Supermacht werden möchte, braucht vor allem vier Dinge:
- Unmengen an qualitativ hochwertigen Daten,
- hartnäckige und hochklassige Unternehmer,
- gut geschulte KI-Ingenieure und
- ein unterstützendes politisches Umfeld.
Und natürlich ist alles nichts ohne Geld. Alle Voraussetzungen zur Erlangung einer Vormachtstellung im Bereich KI sind in China im Überfluss vorhanden. Derzeit jedoch sind die USA mit China etwa gleichauf, vielleicht noch leicht im Vorteil. Europa spielt wie bereits angemerkt keine relevante Rolle.