Plattformstrategien unterscheiden sich fundamental von Pipelinestrategien

Strategien traditioneller Unternehmen sind bereits lange erprobt. Plattformen gehorchen als Unternehmen anderen Gesetzmäßigkeiten als normale Unternehmen. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die betriebswirtschaftliche Logik und die Strategie von Plattformen. Wer Plattformen verstehen will, muss ihre Strategien begreifen.

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Plattformen sind nichts gänzlich Neues. Die wertvollsten Unternehmen der Welt sind heute Plattformen oder nutzen sie. Die Plattformökomie stellt das Herzstück der digitalen Revolution dar. Plattformen verändern laufend und mit zunehmender Geschwindigkeit unser ökonomisches System. Die Veränderung geht rasend schnell vor sich und weist disruptives Potenzial auf.

“Pipelineunternehmen” sind Unternehmen mit klassischer Supply Chain und klassischen Prozessen. Sie verfolgen regelmäßig Strategien, die der klassischen Strategielehre entstammen. Anders ist es mit Plattformen. Diese erweitern die klassische ökonomische Logik und erfordern daher auch fundamental andere Unternehmensstrategien.

Dennoch sorgen Plattformen immer wieder für Stirnrunzeln. Wie funktioniert das, dass ein kostenloser Zugang zu Plattformen gewährt wird? Wodurch lassen sich die scheinbar absurd hohen Bewertungen von Plattformen erklären? Ist das alles nur ein Hype, vergleichbar mit der Dot-Com-Bubble Anfang der 2000er Jahre? Wer immer noch daran zweifelt, dass die Plattformökonomie eine gesunde ökonomische Grundlage hat, der sei eines Besseren belehrt.

Nicht umsonst nutzen bereits Milliarden von Menschen rund um den Globus Plattformen. Und die Tendenz ist steigend, sowohl was die Zahl der Nutzer als auch die Verweildauer auf Plattformen betrifft. Und nicht umsonst sitzen Plattformen auf Cash-Reserven, die selbst Industriegiganten erblassen lassen. All dies wird möglich, weil Plattformen strategisch anders agieren als klassische Unternehmen. Im Kern der Plattformökonomie stehen sogenannte “Netzwerkeffekte”. Netzwerkeffekte sind für Plattformnutzer wichtig, sie führen zu einem Mehrwert bei der Anbahnung und Umsetzung von Interaktionen zwischen Plattformteilnehmern. Aber was ist eine Plattform überhaupt?

Was ist eine Plattform?

Eine Plattform ist ein Geschäftsmodell, das

  • wertschöpfende Interaktionen zwischen unternehmensexternen Anbietern/Erzeugern und Kunden/Usern ermöglicht
  • den Teilnehmern an der Plattform eine mehr oder weniger offene Infrastruktur dafür zur Verfügung stellt
  • die Rahmenbedingungen und Regeln für die Teilnahme an der Plattform festlegt (man spricht in diesem Zusammenhang vom Modell der Plattform-Governance)
  • das Zusammenfinden („matching“) von Plattformteilnehmern zum Zwecke von Interaktionen/Transaktionen ermöglicht
  • den Austausch von Waren, Dienstleistungen, Vermögenswerten und sozialer Währung ermöglicht
  • Netzwerkeffekte ermöglicht und dadurch die konventionelle betriebswirtschaftliche Logik erweitert

Facebook erzeugt keinen eigenen Content. Alibaba hält kein eigenes Lager. Uber besitzt keinen eigenen Fuhrpark. Airbnb besitzt keine eigenen Beherbergungskapazitäten. Finanzierungsplattformen haben keine Kredite und keine Refinanzierung in ihrer Bilanz. All diese Ressourcen werden von einer externen Community bereitgestellt. Die Plattform ermöglicht es, dass Angebot und Nachfrage erfolgreich aufeinandertreffen („Matching“).

Plattform-Geschäftsmodelle kommen häufig mit wenig eigenen Ressourcen aus. Sie bringen Anbieter und Nachfrager als Plattformpartner zusammen und orchestrieren deren Interaktionen. Um all das zu ermöglichen, ist es im Vergleich zu klassischen Unternehmen allerdings nötig, den Fokus der Plattform samt ihrer Organisation und wesentlichen Prozesse von innen nach außen zu kehren.

Wesentliche Geschäftsbereiche kehren sich bei Plattformen von innen nach außen

Die Invertierung von innen nach außen bedeutet bei Plattform-Geschäftsmodellen mehr als nur eine Verankerung von Kundenorientierung oder die Schaffung von Stakeholder Value in einem Unternehmensleitbild. Nicht die Vision ist entscheidend, sondern die strukturelle Implementierung in der Architektur der Plattform. Sie ist zwingend organisatorisch bedingt. Besonders nachfolgende Bereiche sind von der Invertierung des Unternehmensfokus betroffen:

  • Marketing
  • Personal
  • Operations & Logistik
  • F&E, Innovationsmanagement
  • Informationstechnologie
  • Qualitätssicherung
  • Finanzen und Steuern

Worin besteht der Kern der ökonomischen Logik von Plattformen?

Die mikroökonomische Logik einer Marktwirtschaft wird traditionell anhand der Angebots- und Nachfragekurve dargestellt. Auf polypolistischen Märkten kreuzen sich diese Kurven und es entsteht ein sogenannter Gleichgewichtspreis. Dieses Grundschema muss man sich vor Augen halten, wenn man verstehen will, was Plattformen bewirken.

Quelle: http://google.com/search?q=angebots-+nachfrage+diagramm&client=firefox-b-d&tbm=isch&source=iu&ictx=1&fir=puraNSEuekkmuM%253A%252CHP3ghcTjOuwDdM%252C_&vet=1&usg=AI4_-kTS5BdQRfazml_rGGKiFBOzw_u-MA&sa=X&ved=2ahUKEwiI0YGMz9vhAhUNiIsKHbYzBogQ9QEwAnoECAYQCA#imgrc=puraNSEuekkmuM:&vet=1, Zugriff: 23.04.2019

Treten angebotsseitige und nachfrageseitige Skaleneffekte gleichzeitig auf, dann sind Plattformen nicht aufzuhalten. In manchen Märkten treten beide Effekte gleichzeitig auf. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Fixkosten für die Entwicklung eines Produktes sehr hoch sind, die variablen Kosten aber relativ gering UND gleichzeitig Netzwerkeffekte zum Tragen kommen. Es handelt sich dabei um typische „Winner-take-all“ – Märkte oder „Winner-take-most“- Märkte. Die Angebotskurve gleicht sich im Verlauf der Nachfragekurve an. Je größer die Menge wird, desto weniger Anbieter sind in der Lage, steigenden Nutzwert mit geringeren Kosten UND dadurch ermöglichten niedrigeren Preisen in Einklang zu bringen.

Oligopole bzw. im Extremfall Monopole entstehen bei Plattformen infolge von Netzwerkeffekten und damit einhergehender Nutzensteigerung auf der Nachfrageseite bei gleichzeitiger Degression der Durchschnittskosten. Der Auslöser für Oligopol- oder Monopoltendenzen liegt in dem Fall nicht nur in der Kostendegression, sondern in der gleichzeitigen Nutzwertsteigerung durch Netzwerkeffekte, die Wettbewerber mit geringeren Netzwerkeffekten schwer aufholen können. Dadurch werden Preissenkungen möglich und es kommt zu einem angebotsseitigen Crowding-out-Effekt im Markt.

Quelle: edx.com, Platform Strategy for Business, Okt. 2018

Der Grund für dieses völlig neue mikroökonomische Phänomen ist die innere Logik des Plattform-Geschäftsmodells: steigender Nutzwert durch Netzwerkeffekte bei gleichzeitig sinkenden Durchschnittskosten. Beispiele hierfür sind Betriebssysteme oder Massive Multiplayer Online Games.

Plattformstrategien werden auch von Pipeline-Unternehmen verfolgt

Traditionelle Pipelineunternehmen haben das Geschäftsmodell der Plattform längst für sich entdeckt und in ihr Unternehmensportfolio integriert. Ein zentraler Unterschied zwischen klassischen Unternehmen und Plattformen besteht darin, dass letztere die Ressourcen zur Leistungserbringung nicht besitzen, sondern fremde Ressourcen “orchestrieren”. Je nachdem, ob nun der Pipelinetyp oder der Plattformtyp bei einem Unternehmen dominiert, wirkt sich das unterschiedlich auf die Kapitalintensität aus. Nachfolgendes Schaubild zeigt das exemplarisch:

Quelle: edx.com, Platform Strategy for Business, Okt. 2018

Die Kapitalintensität hängt auch entscheidend davon ab, um welchen Plattformtyp es sich handelt. Das Geschäftsmodell der Plattform lässt sich systematisch in fünf verschiedene Plattformtypen einteilen. Es sind dies:

  • Werbeplattformen
  • Cloud-Plattformen
  • Industrieplattformen
  • Produktplattformen
  • schlanke Plattformen

Selbstverständlich sind auch Mischmodelle denkbar, ebenso wie die Verschränkung von Pipeline-Geschäftsmodellen mit Plattformen für eine große praktische Vielfalt sorgt.

Strategie

Die Auswirkung der „Inversion“ des Unternehmens von innen nach außen auf die Strategie ist beträchtlich. Die strategischen Ziele ändern sich von Kontrolle über Ressourcen und produktseitiger Differenzierung hin zu wertschaffenden Interaktionen der Plattformteilnehmer. Anstelle der Schaffung von Zutrittsbarrieren erfolgt die Einladung Dritter zur Teilnahme am Ökosystem.

In einer vernetzten Welt sind die Ökosysteme von Plattformen neue Quellen von Wettbewerbsvorteilen und Marktdominanz. Plattformstrategien werden – wie soeben gezeigt – auch von Pipelineunternehmen verfolgt. Im Kern bestehen die wesentlichen strategischen Unterschiede zwischen beiden Unternehmenstypen aber darin, dass klassische Unternehmensstrategien zumeist darauf abzielen, Wettbewerbsvorteile dadurch zu erringen, dass das Unternehmen Zutrittsbarrieren schafft und versucht, Ressourcen und Kompetenzen exklusiv für sich zu nutzen. Michael Porter hat die Lehre von den “Five Forces” entwickelt. Das sind jene Wettbewerbskräfte, welche auf die Wettbewerbsposition eines Unternehmens einwirken.

 

Quelle: https://google.com/search?q=Porter%27s+five+forces+analysis&client=firefox-b-d&sa=X&stick=H4sIAAAAAAAAAOOQUeLUz9U3MMzJTikxki8uKUosSU3PTFbITcxLTE_ NTc0rUYAJphZHyaVllqUqpOUXJacWK5Tl5ynkZiZnJKbmKBTkF5 WkFp1iRBgGZRvlmCZXnGLkArPNzA3Ns2Ac06ISo2KYqrJ4s0qY7vSs8qpTjBwgdkaKSS5U2 NKoyNwIKmxZaWAMU10Yn1Lyi5GQyxexygaAnaherIDsB6DanMrizGIAgW_LQQgBAAA&biw=1280&bih=557&tbm=isch&source=iu&ictx=1&fir=tLnWSLoPPovndM%253A%252Cz4S_aqZv_ggpiM%252C%252Fm%252F01lkdt&vet=1&usg=AI4_-kR3oNxDg1SM2QAK-q_eL4VcAA6D2w&ved=2ahUKEwin7t2fxN7hAhWt5aYKHYeJAb8Q_B0wEnoECA0QCQ#imgrc=tLnWSLoPPovndM:, Zugriff: 23.04.2019

Gegen die Einwirkung dieser Wettbewerbskräfte verteidigen sich klassische Unternehmen bestmöglich. Je nachdem, wie gut das gelingt, verfügen Pipeline-Unternehmen dann im Vergleich zu ihren Konkurrenten über Wettbewerbsvorteile oder Wettbewerbsnachteile.

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Die Öffnung von Plattformunternehmen für ihre Umwelt bewirkt aber das Gegenteil dessen, was die klassische Strategielehre lehrt. Es handelt sich dabei um die Einladung, Teil des Ökosystems der Plattform zu werden. Nicht der Bau von Zäunen, sondern das Niederreißen von Mauern gegenüber den Wettbewerbskräften wird zu einem neuen Mantra.

Übersicht über strategische Eigenschaften von Pipelineunternehmen und Plattformen

Die strategischen Eigenschaften von Pipelineunternehmen und Plattformunternehmen unterscheiden sich daher in mehreren Dimensionen. Die wichtigsten Unterschiede lassen sich der folgenden Gegenüberstellung entnehmen:

Hohe Unternehmensbewertungen von Plattformunternehmen haben einen Grund

Aus der unterschiedlichen Architektur und strategischen Ausrichtung resultieren hohe Unternehmenswerte von Plattformunternehmen. Das Wachstum von Plattformen (und damit der interaktionswilligen Community) ist ausschlaggebend für die Bewertung.

Das Wachstum stammt bei Plattformen vor allem aus der hohen Skalierbarkeit, die Ergebnis der Invertierung von innen nach außen und der Nutzung von Netzwerkeffekten ist. Traditionelle Unternehmen wachsen häufig über traditionelles Portfoliomanagement und damit über traditionelle Mergers & Acquisitions (“M&A”). Auch Plattformen nutzen M&A, um schneller ihre Ziele zu erreichen. Anders als bei klassischen Pipeline-Unternehmen resultiert das Wachstum bei Plattformen nicht primär aus der horizontalen oder vertikalen Integration von Geschäfsbereichen. Wachstum kommt bei Plattformen primär von funktionaler Integration und Netzwerkorchestrierung. Die Qualität der Netzwerkorchestrierung hat damit direkte Auswirkungen auf Wachstum und Unternehmensbewertung.

Während zweier Jahrzehnte wurden zahlreiche konkrete Strategien und Taktiken beim Aufbau und der Entwicklung von Plattformen in der Praxis angewendet. Darüber werde ich in weiteren Blog-Artikeln berichten.

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