Good Governance für Plattformunternehmen

Good Governance ist ein Schlagwort bei Festreden. Sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft spricht man gerne davon, handelt aber selten danach. Denn immer gibt es Einzelne oder ganze Lobbys, die ihre Partikularinteressen gefährdet sehen. Bei Plattformunternehmen stellen sich besondere Herausforderungen.

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Der Begriff „Good Governance“ stammt ursprünglich aus der Welt der Politik und beschreibt, wie politische Systeme organisiert werden müssen, damit die Staatsgeschäfte ordentlich geführt und Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden. Bereits in den 1930er Jahren wurde das Konzept unter dem Titel „Corporate Governance“ im Bereich der Betriebswirtschaft eingeführt. Damals wurde mit dem Entstehen von managergeführten Unternehmen erkannt, dass die Interessen von Managern und Eigentümern auseinanderdriften können. Dies ist mittlerweile unter dem Begriff „Principal-Agent-Problem” bekannt geworden.

Heute geht es bei „Good Governance“ in einem erweiterten Begriffsverständnis darum, auch den Interessen anderer Anspruchsgruppen, den „Stakeholdern“, gerecht zu werden. Die meisten Länder haben heute einen sogenannten „Corporate Governance Codex“ oder vergleichbare Regeln in der einen oder anderen Form gesetzlich verankert. Im Bereich von Plattformunternehmen stellen sich aber neue Herausforderungen, die mit dem herkömmlichen Instrumentarium nur unzureichend erfasst werden.

Bei Staaten lässt sich die Qualität von „Governance“ besonders gut erkennen

Staaten hatten Jahrtausende lang Zeit, sich mit Fragen der Organisation des Staatswesens zu beschäftigen. Die Sicherstellung einer langfristig erfolgreichen Führung und Überwachung der staatlichen Aktivitäten lässt sich daher besonders deutlich erkennen, da Staaten im Regelfall nicht einfach verschwinden. Bei Unternehmen ist dies häufiger der Fall, da sie durch Insolvenzen oder Verschmelzungen häufiger verschwinden.

Singapur gilt heute als Paradebeispiel eines Staates, der durch Good Governance innerhalb von wenigen Jahrzehnten seit seiner Gründung zu einem leuchtenden Vorbild für ganz Asien (und wohl auch für den Rest der Welt) geworden ist. Als Lee Kuan Yew 1959 Premierminister wurde, stand er vor der Herausforderung, aus einer Sumpflandschaft am Äquator mit einer multiethnischen Bevölkerung ohne Rohstoffe ein funktionsfähiges Staatsgebilde aufzubauen. Damals betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weniger als 430 US Dollar. Ethnische Konflikte zwischen Malaien und Chinesen, religiöse Unruhen zwischen Buddhisten und Muslimen sowie politischer Unfrieden zwischen Kapitalisten und Kommunisten lähmten den neuen Staat.

Lee Kuan Yew veränderte das Governance System, indem er das britische Rechtssystem einführte, Staatsbedienstete wie Vertreter der Privatwirtschaft entlohnte, Korruption radikal bekämpfte und einen multikulturellen Rat installierte. Heute ist Singapur eines der reichsten Länder der Welt, Korruption ist praktisch ein Fremdwort. Die Politik ist langfristig ausgerichtet, der Wohlstand der breiten Bevölkerung nimmt laufend zu. Im Jahr 2017 betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf rund 58.000 US Dollar. Das reale BIP wuchs im Jahr 2017 um 3,6%. Im globalen Krisenjahr 2009 kam es einmalig zu einer Schrumpfung um 0,6%, nur um im Jahr 2010 gleich wieder um 15,24% zu steigen. Von solchen Zahlen für eine entwickelte Volkswirtschaft kann die westliche Welt nur träumen.

Will man den Unterschied deutlich machen, den Good Governance ausmachen kann, so muss man nur die kommunistischen Staaten DDR und Nordkorea mit den Geschwisterstaaten BRD und Südkorea vergleichen. Aber auch der Unterschied zwischen China und Russland, die sich beide aus einer Geschichte des realen Sozialismus heraus sehr unterschiedlich entwickelt haben, verdeutlicht den Unterschied, den Good Governance machen kann.

Die Blockchain – dezentralisierte Governance in einem regulierten Umfeld

Immer klarer wird, dass die Technologie der Blockchain künftig in sehr vielen Branchen fundamentale Umbrüche hervorrufen wird. Der Kern der Governance im Bereich der klassischen Blockchain erfolgt ohne zentrale Instanz in einem sogenannten Peer-to-Peer-System. Vertrauen in das System wird auf technischem Weg hergestellt. Sogenannte „Smart Contracts“, sich automatisch durchführende Verträge, machen die Technologie zu einem universell anwendbaren Instrument. Die daraus entstehende „Token-Ökonomie“ geht weit über das hinaus, was Kryptowährungen wie beispielsweise Bitcoin ausmachen.

Damit aber Verträge breite und rechtsgültige Wirkung entfalten können, bedarf es zusätzlich eines Ordnungsrahmens, der das „faktisch Gültige“ mit dem „rechtlich Zulässigen“ in Einklang bringt. Einen wegweisenden Versuch einer staatlichen Regulierung unternimmt zur Zeit Liechtenstein. Das derzeit im Vernehmlassungsverfahren befindliche liechtensteinische „Gesetz über auf vertrauenswürdigen Technologien beruhende Transaktionssysteme“ (Blockchain-Gesetz) unternimmt den mutigen Versuch, einen liberalen Ordnungsrahmen für die gesamte aus der Blockchain hervorgehende Wirtschaftsordnung zu erlassen. Auch Österreich arbeitet derzeit an einem derartigen Gesetz, das bereits bald in Kraft treten soll. Die ursprünglich idealistisch-anarchistischen Ansätze bei der Einführung von Bitcoin waren erwartungsgemäß nur der Anfang. Governance in der Blockchain bedeutet heute technisches Design plus staatlicher Ordnungsrahmen!

Plattformen stellen eigene Anforderungen an ein System der Governance

Während klassische Systeme der Governance auf Gesetzen, Verhaltensnormen, der konkreten Ausgestaltung eines Systems (seiner „Architektur“) sowie den für die jeweiligen Märkte geltenden ökonomischen Gesetzmäßigkeiten aufbauen, stellen sich für Plattformen zusätzliche Herausforderungen. Diese resultieren aus der besonderen Konstellation, mit denen sich mehrseitige Plattformunternehmen konfrontiert sehen. Ein typisches Beispiel ist Facebook, das normale User sowie Werbekunden gleichermaßen zufriedenstellen muss.

Ein wichtiges Prinzip für Good Governance ist interne Transparenz. Dadurch wird verhindert, dass einzelne Abteilungen ein Eigenleben entwickeln, das der Zusammenschau der Interessen aller Stakeholder abträglich ist. Jeff Bezos von Amazon hat die interne Kommunikation im Unternehmen daher radikal geregelt: Jede Kommunikation und alle Tools der Plattform werden über firmeneigene Service-Interfaces abgewickelt, auf die alle Zugriff haben und die für einheitliche Standards sorgen. Wer sich nicht daran hält, wird gefeuert! Der Erfolg von Amazon Web Services, dem rasant wachsenden Cloud-Dienst der Plattform, ist nicht zuletzt diesem System zu verdanken.

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Plattformen leben davon, dass externe Partner Dienste zur Verfügung stellen. Daher ist die Beteiligung dieser Partner an Entscheidungsprozessen und die Verlässlichkeit des Plattformbetreibers ein weiteres wichtiges Prinzip. Nur wenn sich Partner darauf verlassen können, dass ihre eigenen geschäftlichen Interessen berücksichtigt werden und gewahrt bleiben, werden sie einen Mehrwert für die Plattform liefern.

Weiters ist es wichtig, Änderungen der Plattform frühzeitig zu kommunizieren, damit sich alle externen Partner rechtzeitig darauf einstellen können. Es ist auch wichtig, sie fair zu behandeln, insbesondere was geistiges Eigentum betrifft. Partnern, die unterschiedliche Leistungen für die Plattform erbringen, sollen auch verschiedene Vorteile daraus ziehen können. Es muss aber klar sein, was die Plattform im Gegenzug dafür erwartet. Die Förderung des finanziellen Wohlergehens der Partner, insbesondere kleinerer Partner ist von entscheidender Bedeutung. Anders als klassische Unternehmen leben Plattformen von einer effektiven Arbeitsteilung mit externen Partnern, die weit über klassische Kunden-Lieferantenbeziehungen hinausgeht. Eine Plattform ist dann besonders interessant für alle, wenn die gemeinsame Wertschöpfung aller Teilnehmer am Geschäftsmodell maximiert wird. Denn nur dann können Netzwerkeffekte  optimal skaliert werden.

Die Einrichtung eines effektiven Instrumentariums zur Behandlung von Interessenkonflikten ist von entscheidender Bedeutung. Vor allem Plattformen, die Finanzdienstleistungen erbringen, sind besonders dazu angehalten, für Ordnung in den eigenen Reihen zu sorgen. Es ist dies ein Selbstschutzmechanismus für die Plattform, der den Missbrauch der Plattform sowohl durch interne, als auch durch externe Plattformteilnehmer hintanhalten muss. Die Vermeidung von Interessenkonflikten ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Qualitätsmanagements einer Plattform. Mehr als bei anderen Unternehmen schafft eine gerechte und faire Governance Werte, da sie von Netzwerkeffekten lebt. Die Frage der Verteilung dieser Werte – aber auch der damit einhergehenden Lasten – auf alle Stakeholder ist entscheidend für das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit einer Plattform.

Facebook zeigt, wie Mängel in der Governance negative Auswirkungen zeitigen

Immer wieder erschüttern Datenskandale und Mängel in der Kuratierung der Inhalte trotz aller Bemühungen das Image von Facebook. User erhalten kostenlosen Zugang zu dieser Social-Media-Plattform, dafür zahlen sie mit ihren persönlichen Daten. Dieses Prinzip ist jedoch nicht ausreichend kommuniziert. Wenn Facebook diese Daten nun aber nicht nur für Werbezwecke nutzt, sondern auch weiterverkauft, dann ruft dies berechtigtermaßen Unmut hervor. Wenn nun über die Plattform auch massive organisierte Manipulation (beispielsweise bei den letzten US-Wahlen) betrieben wird, steigert sich der Grad der Empörung.

Es wäre absurd zu glauben, dass Facebook die Nutzung personenbezogener Daten nicht als zentralen Teil seines Geschäftsmodells betrachten würde. Aber ein transparenter Umgang damit würde Attacken auf die Plattform bereits prophylaktisch den Wind aus den Segeln nehmen. Wenn Online-Zeitungen ihren Usern zunehmend den kostenlosen Zugang zu ihren Inhalten versperren, falls sogenannte „Adblocker“ das Anzeigen von Werbung bei den Lesern verhindern, dann ist das leicht zu verstehen: Man kann gratis Inhalte konsumieren, wenn man dem Medium auf der anderen Seite der Plattform bezahlte Werbung ermöglicht. Es kommt einfach darauf an, jedem Systemteilnehmer zu sagen, was er bekommt und was er dafür zu „zahlen“ hat, auch wenn die Zahlung nicht in Geld besteht. Bei Facebook ist die Balance zugunsten der Profitabilität der Plattform offenbar auf eine schiefe Bahn geraten. Es gibt Handlungsbedarf in Hinblick auf Good Governance!

Zielkonflikte müssen bei Plattformunternehmen proaktiv angegangen werden

Good Governance wird immer unvollkommen bleiben. Wie auch immer Regeln ausgestaltet sein mögen, Partner werden Wege finden, ihre Vorteile zulasten anderer zu suchen. Einerseits kann ein durchdachtes Plattformdesign versuchen, derartige Konflikte zu minimieren. Wenn derartige Konflikte dennoch auftreten, dann ist es wichtig, sich in jene Richtung zu bewegen, wo die größte Quelle zukünftiger Wertbildung liegt. Wer wie Microsoft vor allem versucht, Bestehendes zu bewahren, neigt zur Stagnation. Mechanismen der Governance müssen daher der zukünftigen Marktentwicklung Rechnung tragen, da dann alle Systempartner den gemeinsamen Nutzen maximieren können. Plattformteilnehmer sind über entsprechende Incentives zu positivem Verhalten zu animieren. Gerade bei Plattformen, wo die meisten Ressourcen in der Regel – anders als bei klassischen Unternehmen – nicht unter der Kontrolle der Plattform stehen, ist ein Interessengleichklang aller Teilnehmer von entscheidender Bedeutung. Plattformunternehmen sind aufgrund ihrer Mittlerrolle wesentlich stärker nach außen orientiert als traditionelle Unternehmen. Einer Good Governance kommt daher im Interesse aller eine entsprechend große Bedeutung zu.

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