Unversöhnliche Weltanschauungen höhlen die liberale Demokratie aus

Die Bevölkerungen der westlichen Gesellschaften rebellieren zunehmend. Dies geschieht auf beiden Seiten des Atlantik gleichermaßen. Die Auswirkungen sind unterschiedlich, die Ursachen ident. Unversöhnlich stehen sich gegensätzliche Weltauffassungen gegenüber: der “liberale Traum” und die „Bunkermentalität“. Die Politik wirkt hilflos. In diesem Blogpost widme ich mich dem “liberalen Traum”.

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Mit Ende des Mittelalters hat in Europa die Aufklärung eingesetzt. Ein Aufschwung der Wissenschaften hat zum Bewusstsein geführt, dass Verbesserungen der Lebensbedingungen möglich sind. Der jahrtausendealte Glaube, dass Wirtschaft ein Nullsummenspiel ist, wurde als falsch entlarvt. Ein unglaublicher Aufschwung hat seither eingesetzt. Für die Menschen lohnte es sich, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und nicht mehr nur als Schicksal hinzunehmen.

Nach Jahrtausenden der religiösen Dogmatik und des Aberglaubens entstand ein neues Menschenbild, das im Sinne Kants die Befreiung des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit bedeuten sollte. Der liberale Traum war geboren. Die neue Erzählung, die unser Gesellschaftsbild im Westen geprägt hat, lautete etwa so:

Das Credo des liberalen Traums revolutionierte das Weltbild des modernen Menschen

Alle Menschen sind frei und mit den gleichen unveräußerlichen Rechten geboren. Daher sind sie auch gleich vor dem Gesetz. Die Idee des rule of law, der Gewaltenteilung, der Menschenrechte und der Menschenwürde sind nicht diskutierbar. Menschen können in Frieden leben und Fortschritt schaffen, wenn anstelle von überlieferten Dogmen Fakten und Rationalität treten, die jederzeit überprüfbar und widerlegbar sind. Dadurch gibt es keine abschließenden Gewissheiten, was eine beständige Fortentwicklung unseres Wissens ermöglicht.

Die Erlangung und Verteidigung von individueller Freiheit ist das oberste Ziel liberaler Gesellschaften. Fortschritt bedeutet Wohlstand und bedingt Innovation und Produktivitätssteigerung. Wachstum ist damit systembedingt und permanente Veränderung wird zur persönlichen Pflicht. Der Markt und die Demokratie sind das Ergebnis dieser Prozesse und gleichzeitig deren Voraussetzung. Der Staat übernimmt nicht nur Ordnungsfunktionen, sondern tritt auch als fürsorgende Institution ins Leben der Bürger. Man sollte sich aber nicht einlullen lassen: So viel warmes Bauchgefühl aber geht aber zulasten der analytischen Tiefenschärfe.

Kritik am liberalen Traum war immer schon allgegenwärtig

Der Chor singt „Freude schöner Götterfunken“ und ergötzt sich daran, dass der liberale Traum eine Befreiungstheologie ohne Gott geschaffen hat. Die postkoloniale Kritik lautet: Es klingt wunderbar, wenn reiche weiße Männer eine Rechtfertigung für ihr mörderisches Treiben rund um den Erdball gefunden haben. Sie sind damit nicht Unterdrücker, sondern Befreier, sofern sich alle anderen der westlichen Weltherrschaft beugen. Lange hatten die aufgeklärten Verfechter von Menschenrechten kein Problem mit Sklaverei, der Unterdrückung der Frauen und frühkapitalistischer Ausbeutung der Arbeiterschaft.

Aufklärung war immer das, was einer bestimmten Elite nützte. Anfänglich war sie eine Waffe beim Aufstieg des Bürgertums gegen den Adel. Aus einer historischen Perspektive betrachtet ist die Aufklärung ein Machtinstrument einer bestimmten sozialen Schicht, keine zeitlose und universelle Wahrheit. Modernisierungsverlierer und vom sozialen Abstieg bedrohte Mitglieder der unteren Mittelschicht zweifeln heute die quasireligiöse “Alternativlosigkeit” einer Ideologie für begünstigte Eliten an.

Eine kritische Distanz zu jeder Form von „ewigen Wahrheiten“ ist angebracht

Eben weil der liberale Traum nicht nur paradiesisch, sondern auch historisch und aktuell kompromittiert ist, ist kritische Distanz geboten, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wir sollten den liberalen Traum – und damit auch die liberale Demokratie – historisch verstehen und nicht als quasireligiösen Glaubensinhalt einer Fortentwicklung entziehen. Meist wird bei uns übersehen, dass die quasireligiöse Fundierung des liberalen Humanismus tatsächlich religiöse Wurzeln hat. In der jüdisch-christlichen Tradition ist die unsterbliche Seele, die jeden Menschen zum unverwechselbaren Individuum macht(nach dem “Vorbild Gottes”, der Mensch geworden ist), seit jeher verankert. Westlicher Individualismus hat damit durchaus auch theologische Wurzeln. Durch die Aufklärung wurden diese Wurzeln allerdings rationalistisch umgedeutet.

Kritiker wie Edmund Burke, der geistige Vater des Konservativismus, Friedrich Nietzsche oder Jean Jaques Rousseau konnten im 18. und 19. Jahrhundert nur lachen, wenn der Mensch ein rationales Wesen sein sollte. Im 20. Jahrhundert formulierten linke Theoretiker wie Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Michel Foucault oder Jacques Derrida ihre Aufklärungskritik, die das Narrativ von Fortschritt und Vernunft als nichts anderes als eine Maske der totalitären Macht betrachteten. Selbst Denis Diderot, der begeisterte französische Aufklärer aus dem 18. Jahrhundert, meinte: “Die Aufklärung hört in den Vorstädten auf, jenseits von ihnen müssen die Menschen zu hart arbeiten und haben zu wenig zu essen.”

Intellektuelle Überheblichkeit korreliert häufig mit Machtausübung

Ahnlich wie der New Yorker PR Guru Edward Bernays, dem Vater der modernen Konsumgesellschaft, hatten viele Aufklärer ein erstaunlich pessimistisches Menschenbild. Sie waren der Meinung, dass die Masse der Menschen zu ihrem eigenen Vorteil gelenkt und manipuliert werden müsse. Liberale Elitenpolitik hat diesen Ansatz übernommen. Sie meint – ganz im Sinne des ehemaligen amerikanischen Politiksystems – dass die Eliten “decision making” und die Massen “decision confirming” sind, egal welches politische Lager gewählt wird. Politik besteht quasi aus zwei verschiedenen Geschäften: dem technokratischen Entscheiden und dem medialen Verkaufen dieser Entscheidungen. Dass dies zuletzt nicht mehr funktioniert, ist eine schlechte Botschaft für den liberalen Traum.

Der englische Philosoph John Gray brandmarkt das Fortschrittsnarrativ der Aufklärung als nichts als eine Illusion. Die wahre Natur des Menschen sei wie seit eh und je gierig, kurzsichtig, grausam und dumm. Gray schreibt: “Die Idee des Menschenfortschritts gründet in der Überzeugung, die Anhäufung von Wissen gehe Hand in Hand mit der Weiterentwicklung der Spezies – wenn nicht in der Gegenwart, so doch auf lange Sicht. Der biblische Mythos vom Sündenfall aber birgt eine unliebsame Wahrheit in sich: Wissen macht uns nicht frei. Wir bleiben die, die wir immer gewesen sind, und sind zu jeder Torheit imstande. Diese Wahrheit findet sich auch in der griechischen Mythologie. Die Bestrafung des Prometheus, der den Göttern das Feuer stahl und deshalb an einen Felsen gekettet wurde, hatte ihre guten Gründe.”

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Zoologen sehen im Sozialverhalten anderer Säugetiere und insbesondere anderer Primaten deutliche Parallelen zum menschlichen Verhalten. Die primären sozialen Handlungsmotive sind Sex, Angst und Anerkennung. Die Aufklärung unterschätzt die Bedeutung evolutionärer Prägung zugunsten der Kultur und überschätzt die Verhaltensprägung menschlicher Primaten durch Überzeugungen. Denn Fortschritt hat eine immense Achillesferse: Permanente Veränderung übt einen extremen Druck auf Menschen aus. Permanent wird Vertrautes hinweggefegt, eine bekannte Welt wird zerstört. Menschen finden sich nicht mehr zurecht, jedes Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit geht verloren. Man fühlt sich nicht mehr zu Hause, der liberale Traum bietet nur eine schwache Identität. Der ideale Bürger ist ein zukunftsorientierter Kosmopolit, dem das Gefühl, irgendwo dazuzugehören, nicht so wichtig ist.

Die Konsumgesellschaft soll als materielle Perspektive fehlende Werte kompensieren

Untrennbar mit dem liberalen Traum verbunden ist das Mantra der Konsumgesellschaft. Der in der amerikanischen Verfassung verankerte “Persuit of Happyness” versteht sich mittlerweile einseitig als Aufforderung zum hemmungslosen Hedonismus, in Europa auch gekoppelt mit einem Anspruch auf staatliche Versorgung. Zunehmend führt dies zu einer Ablehnung persönlicher Verantwortung, quasi zu einer kindlichen Infantilisierung der Gesellschaft. Die 1968er Jahre, gekoppelt mit einer Kuschelpädagogik haben diese autoritätskritische und Eigenverantwortung ablehnende Geisteshaltung zum Mainstream erhoben. “Konsument” ist der Bürger nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern in allen Lebensbereichen – auch in seinen Ansprüchen gegenüber der Politik. Man bezahlt Steuern, dafür soll der Staat “liefern”. Tut er das nicht hinreichend, dann wird er aggressiv abgelehnt. Gelbwesten, Wutbürger und Links- oder Rechtsradikale lassen grüßen.

Nachdem Ideologien von links und rechts die Welt im 20.Jahrhundert ins Chaos gestürzt haben, war der Markt und die liberale Demokratie ein willkommenes Bollwerk gegen mörderische Radikalismen. Solange die Friedensvision und der Wiederaufbau im Vordergrund standen, einte dies auch die Gesellschaft durch eine gemeinsame Vision. Nachdem Frieden zur scheinbaren Selbstverständlichkeit geworden ist, reicht dies nun nicht mehr aus. Der liberale Traum kann seine Wohlstandsversprechungen nicht mehr einhalten, der Verweis auf ein europäisches Friedensprojekt wirkt wie eine verzweifelte Beschwörung scheinbarer Selbstverständlichkeiten. Uns muss mehr einfallen! Der amerikanische Autor Gore Vidal hat die amerikanische soziale Realität am anderen Ende der wirtschaftlichen Kette einmal wie folgt beschrieben: “Ein Sozialstaat für die Reichen und ein freier Wettbewerb für die Armen”. Menschen wie Trump haben die Achillesferse des liberalen Traums erkannt und nutzen sie entsprechend aus.

Bislang war das marktwirtschaftliche Gesellschaftssystem und die liberale Demokratie eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. Es lohnt daher, die Grundannahmen, Stärken und Schwächen dieses Systems vorurteilsfrei zu analysieren. Eine Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten bietet aus heutiger Sicht für unsere Gesellschaften, deren kulturelle Prägung tief mit diesem System verbunden sind, die wahrscheinlich beste Möglichkeit, im Wettbewerb der Systeme bestehen zu können. Dies erfordert aber das Ablegen von Scheuklappen und die Aufgabe fundamentalistischer Glaubenssätze, dass all dies naturgegeben, alternativlos, universell gültig und ewig wahr ist. Der liberale Traum ist noch nicht ausgeträumt, er bedarf allerdings wahrscheinlich einer Generalüberholung.

Der “autoritäre Traum” ist die aktuell emporkommende Gegenbewegung

Die reichen, demokratischen Länder sind in ein reaktionäres Zeitalter abgeglitten, zumindest in breiten Kreisen jener Bevölkerungsschichten, die nicht den sogenannten liberalen Eliten zuzurechnen sind. Sie fühlen sich auf dem Weg zurückgelassen und stellen fest, dass der Druck steigt, ohne dass sich neue, bessere Perspektiven eröffnen. Sie fühlen sich den Herausforderungen, die Globalisierung, Digitalisierung, Migration und interkultureller Austausch mit sich bringen, nicht gewachsen. Ihr liebstes Gefühl ist das der Nostalgie, sie wollen diese Zukunft nicht, denn diese Zukunft bedeutet Veränderung. Und Veränderung begreifen sie als Verschlechterung.

Es sind nicht mehr nur die Modernisierungsverlierer, die so empfinden, sondern auch eine zunehmend apolitische Generation, die es verlernt hat, zu kämpfen. Sie ist gewohnt zu konsumieren und ihre Eltern waren seit den 1968er Jahren bemüht, Selbstentfaltung zu predigen und Leidensdruck von ihnen abzuhalten. Diese Generation hat heute bereits selbst Kinder und vielleicht auch Enkel. Sie stehen mitten im Leben und verstehen Politik als Customer Service. Da die Politik nicht hinreichend liefert, wird das System als solches abgelehnt, obgleich es ihnen besser geht, als allen Generationen vor ihnen.

Die Gegenbewegung, die allen Unmut in sich vereint, ist die Welt der Trumps, Orbans, Salvinis. Seltener sind es auch linke Gegenbewegungen wie die 5-Sterne-Bewegung in Italien, die die Gunst der Stunde nutzen. Auch ganz neue „Volkserhebungen“ wie die Gelbwesten in Frankreich treten vermehrt in Erscheinung. Sie sind nicht nur ein Sammelbecken für intellektuell minderbemittelte Wutbürger. Ideengeschichtlich eint sie manches. Sie träumen den „autoritären Traum“, den sie dem liberalen Traum entgegenstellen wollen. Näheres dazu werde ich zeitnah in einem weiteren Blogpost darstellen.

 

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