Die Unwahrheit von der Enteignung der Sparer

Christine Lagarde hat einen schweren Stand in Deutschland. Wie auch bei Mario Draghi kritisieren ökonomische Fundamentalideologen die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Einseitig und völlig verblendet wird von der Enteignung des kleinen Mannes, des Sparers gesprochen. Dies ist falsch, denn es blendet die positiven Wirkungen der Geldpolitik aus.

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Immer wieder wird die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank kritisiert. Entweder sind es nationale Interessen oder es sind ideologische Positionen, die einer strategischen Diskussion über die Funktion des Euro im Wege stehen. Die nationalen Zielsetzungen der Mitglieder der Eurozone sind so heterogen und die vorgeschobenen Argumente so plakativ, dass keine vernünftige Diskussion führbar und keine gemeinsame Marschrichtung ableitbar ist. Dies erfolgt wissentlich und zu unser aller Schaden. Besonders perfide ist allerdings das Argument, dass das alles zulasten des kleinen Mannes, des Sparers geht. Das Gegenteil ist der Fall.

Eine unabhängige europäische Notenbank ist zwar fundamentaler Bestandteil und Voraussetzung für den Euro als gemeinsame Währung. An Zurufen von allen Seiten, wie die Geldpolitik nun aber auszusehen habe, fehlt es jedoch nicht. Und immer ist es der Blick auf das Verhältnis der Euroländer untereinander, der die Kritik an der EZB und ihrer Geldpolitik bestimmt. Der Blick über den Tellerrand, auf das Verhältnis der großen Weltwährungen und Wirtschaftsräume untereinander, bleibt dabei auf der Strecke. Dabei ist es absurd, die Politik der EZB isoliert von der Politik der anderen großen Notenbanken zu betrachten. Nicht die absolute Höhe der Zinsen oder die absolute Größe der Geldmenge ist entscheidend, sondern die Betrachtung der relativen Zins- und Währungsentwicklung im Verhältnis zu den anderen großen Währungen.

Niedrigzinsen sind ein Segen für die Bürger und sollten als Chance begriffen werden

Die Zeit Online – immerhin ein deutsches Medium – brachte am 12.12.2019 einen passenden Vergleich zur Niedrigzinspolitik. Man stelle sich vor, Sie gehen mit Freunden in ein Gasthaus und zahlen pro Person für Speis und Trank 30 Euro. Satt und zufrieden gehen Sie schließlich nach Hause. Würden Sie daheim ihrem Partner erzählen, dass Sie soeben um 30 Euro enteignet wurden? Wohl eher nicht, da Sie für die 30 Euro gut gegessen und getrunken haben. Die 30 Euro sind der Preis für eine Gegenleistung, die Ihnen zugute gekommen ist. Niemand mit gesundem Menschenverstand würde anzweifeln, dass vieles im Leben einen Preis hat. Nur bei der Geldpolitik soll das angeblich nicht gelten.

Immer wieder wird argumentiert, dass es keine Zinsen mehr auf dem Sparbuch gibt, dass die traditionelle Lebensversicherung weniger wert ist und dass das vor allem den kleinen Mann trifft, der dieser Unbill schutzlos ausgeliefert sei. Vor allem in Deutschland werden diese und ähnliche Argumente unermüdlich wiederholt. Sie sind jedoch schlicht nur die halbe Wahrheit und verzerren die Wirklichkeit.

Die deutsche Bevölkerung ist der große Profiteur der aktuellen Geldpolitik

Seit nunmehr rund 10 Jahren (mit einer aktuell durch die internationalen Handelskonflikte etwas gedämpften Entwicklung) wächst die deutsche Wirtschaft praktisch ununterbrochen. Es ist dies eine der längsten Aufschwungphasen der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Die Beschäftigung einschließlich Anlagenausnutzungsgrad sind trotz heftigen Zuzugs und rückläufigen Wachstums in China samt Handelskriegen auf einem Rekordstand. Die Arbeitslosigkeit war seit der Wiedervereinigung noch nie so niedrig wie jetzt. Löhne und Renten steigen trotz extrem niedriger Inflation, sogar im Niedriglohnbereich findet diese Entwicklung statt. Die Steuereinnahmen sprudeln und das Budget ist in blendender Verfassung. Der seit Jahren vielbeschworene Crash hat ebenso wenig stattgefunden wie eine als Menetekel an die Wand gemalte galoppierende Inflation. Auch ist eine heraufziehende große Krise am Horizont nicht zu erkennen.

Um bei der obigen Metapher zu bleiben: Für die Restaurantrechnung in Höhe von 30 Euro haben wir also ein perfektes gastronomisches Erlebnis gehabt. Für den Zinsverlust durch die Geldpolitik wurden wir alle bestens durch eine positive wirtschaftliche Entwicklung entschädigt, die wir auch direkt in der Geldbörse merken. Gerade der kleine Mann hat davon profitiert, dass nach der größten Finanzkrise (2008/09) seit der großen Depression der 1930er Jahre Europa nicht zerfallen ist, eine Depression ausgeblieben ist, neue Arbeitsplätze entstanden sind und der Euro unser aller Vermögen geschützt hat. Der „kleine Sparer“ hat für einige wenige Euro Zinsverlust ein Rundumpaket erhalten, das beachtlich ist. Das ist nicht zuletzt dem couragierten Agieren der Europäischen Zentralbank zu danken. Im Übrigen haben die unteren 40% der Bevölkerung kaum Ersparnisse, auf die sie Zinsverluste zu gewärtigen hätten. Und die niedrige Inflation ist trotz aller Unkenrufe jedem von uns erhalten geblieben.

Horrorgeschichten wegen der Niedrigzinsen sind falsch, bleiben aber weit verbreitet

Dass das billige Geld zu einer Versteinerung unproduktiver Wirtschaftsstrukturen führe, zur „Zombifizierung der Wirtschaft“, ist eine derartige Horrorgeschichte. Die subventionsinduzierte Konservierung unproduktiver Wirtschaftszweige ist seit jeher vor allem der Politik anzulasten und nicht etwa der Notenbank. Hingegen nützt die Niedrigzinspolitik eher den Kapitalmärkten und damit der Finanzierung einer prosperierenden Startup-Szene und der Finanzierung innovativer Entwicklungen.

Dass niedrige Zinsen die Mieten nach oben treiben würden, ist ebenfalls eine derartige Horrorgeschichte. Zumindest für Deutschland lässt sich zeigen, dass während der letzten zehn Jahren der Anteil der Wohnkosten an den verfügbaren Haushaltseinkommen gesunken (!) ist. Zwar steigen bei Neubauten aufgrund von gestiegenen Immobilienpreisen UND immer restriktiveren Bauvorschriften die Preise für neugeschaffenen Wohnraum, andererseits dämpfen restriktive Mietrechtsgesetzgebungen den generellen Preisauftrieb in diesem Segment. Und die Niedrigzinsen ermöglichen viel eher die Schaffung von Wohnungseigentum, als dies früher der Fall war.

Ein massiver Investitionsbedarf und Niedrigzinsen fallen zusammen – ein Glücksfall

Sei es eine heruntergekommene Infrastruktur, ein massiver Investitionsbedarf im Bereich Mobilfunkabdeckung und Internet, das Nachziehen von 5G-Netzen auf asiatisches Niveau, gigantische Klimaschutzinvestitionen, Investitionen in neue Formen der Mobilität und Energiegewinnung – überall zeigt sich ein massiver Kapitalbedarf. Investitionen in Technologiethemen wie künstliche Intelligenz oder Biowissenschaften seien nur exemplarisch erwähnt, wenn es Zukunftstechnologien geht.

Die Staaten wären aufgrund der bereits hohen Level an Verschuldung nicht mehr in der Lage, diesen drängenden Herausforderungen nachzukommen, die aber für unsere Zukunft unerlässlich sind. Da helfen niedrige Zinsen nicht nur, sie sind vielmehr Voraussetzung dafür, dass die westliche Welt nicht restlos von Asien abgehängt wird. Es kommt eben darauf an, wofür staatliche Verschuldung aufgebaut wird: sind es investive Ausgaben (wie oben aufgezählt) oder konsumptive Ausgaben (wie Sozialleistungen und überbordende Bürokratie).

Es sind umfassende Herausforderungen wie Globalisierung, Digitalisierung, demographischer Wandel, Umweltpolitik und technologische Umwälzungen, die gewaltige finanzielle Transformationsleistungen erfordern werden. Mit einem Zinsniveau, das an den historischen langfristigen Durchschnitt heranreichen würde, wären diese Herausforderungen nicht zu bewältigen. Das liegt ganz zentral auch daran, dass in den westlichen Gesellschaften Wachstumsraten wie beispielsweise in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf absehbare Zeit nicht zu erwarten sind. Daher hinkt auch jeder Vergleich mit der Vergangenheit.

Wovon hängt Inflation wirklich ab?

Seit einem Jahrzehnt zeigt sich, dass eine lockere Geldpolitik entgegen allen Unkenrufen nicht zu Inflation geführt hat. Warum das so ist, kann man nicht länger mit uralten geldpolitischen Theorien beantworten. Preise hängen mehr von realwirtschaftlichen Faktoren ab, als geldpolitische Ideologen glauben. Wir leben in einer Zeit, die neue volkswirtschaftliche Erklärungsansätze erfordert.

Nach traditioneller Auffassung hängen Geldmengenwachstum (einschließlich Geld-Umlaufgeschwindigkeit) und Inflationsentwicklung unmittelbar zusammen. Es klingt ja so trügerisch einfach: Ist mehr Geld im Umlauf bei konstanter Gütermenge, so steigen die Güterpreise, da das Geld ja in Gütern umgeschlagen wird und somit die Preise steigen müssen. Diese geldpolitischen „Wahrheiten“ prägten das Denken von Volkswirten während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und sind auch heute noch weit verbreitet. Dass dies einer empirischen Überprüfung nicht standhält, scheint geldpolitische Ideologen wenig zu kümmern. Trotz einer in der letzten Dekade massiv gewachsenen Geldmenge liegt die Inflationsrate unter dem angestrebten Ziel von rund zwei Prozent. Immer wieder wollen traditionelle Ökonomen (übrigens ausgesprochen undemokratisch) Geldpolitik als Disziplinierungsinstrument gegenüber der Politik einsetzen. Aber Geldpolitik kann weder staatliche Strukturreformen noch Ausgabendisziplin erzwingen.

Es ist eine Binsenweisheit, dass es hauptsächlich realwirtschaftliche Faktoren sind, die die Preisgestaltung von Unternehmen und damit die Inflation beeinflussen. Es sind dies beispielsweise:

  • Die Produktionskosten
  • Die aktuelle Wettbewerbsintensität
  • Die Positionierungsstrategie hinsichtlich eines Produktes
  • Das Geschäftsmodell eines Unternehmens
  • Zukunftserwartungen hinsichtlich der Marktentwicklung
  • Staatliche Gesetzgebung und internationale Rahmenbedingungen

All diese Faktoren haben in einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung mit der Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Geldmenge wenig bis nichts zu tun. Es ist also das Zusammenspiel mikroökonomischer Akteure unter den für sie geltenden Rahmenbedingungen, das für das Festsetzen von Preisen und damit für die Entwicklung der „Consumer-Price-Inflation“ hauptsächlich maßgeblich ist.

Das Experiment einer Repolitisierung der Geldpolitik

Während die amerikanische und japanische Geldpolitik seit jeher nicht ausschließlich der Geldwertstabilität verpflichtet waren, orientiert sich die Europäische Zentralbank nach der Tradition der deutschen Bundesbank bislang ausschließlich an diesem singulären Ziel. Nur eine weite Interpretation dieses Zieles hat es seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 ermöglicht, den Kollaps des Euro, damit auch der EU und unserer europäischen Volkswirtschaften zu verhindern. Sowohl von der Diktion als auch von den Analyseinstrumenten und geldpolitischen Strategien blieb die EZB – unter Bedachtnahme auf ihre Unabhängigkeit von der Politik – bislang ähnlich wie die anderen Zentralbanken der Welt in ihrer „geldpolitischen Welterklärung“ den klassischen Theorien verpflichtet.

Christine Lagarde beschreitet nun neue Wege. Inhaltlich bleibt zunächst alles beim Alten. Sowohl das Leitzinsniveau von null Prozent, als auch der negative Einlagenzinssatz für Banken bleiben noch länger erhalten. Ebenso wird sich entsprechend ihren Erklärungen an den wieder aufgenommenen Anleihenkäufen noch länger nichts ändern. Allerdings hat die neue Chefin der Europäischen Zentralbank angekündigt, eine längst überfällige Überprüfung der alten „EZB-Strategie“ aus dem Jahr 2003 vornehmen zu lassen. Diese Überprüfung soll noch im Jahr 2020 abgeschlossen werden. Zu dieser Überarbeitung der „EZB-Strategie“ sollen neben dem europäischen Parlament auch „Akademiker“ und „Vertreter der Zivilgesellschaft“ konsultativ eingeladen werden. Lagarde möchte – wohl einigermaßen skuril – auch Themen wie Klimawandel in die Geldpolitik einbeziehen und die EU-Kommission beim Klimaschutz unterstützen. Offensichtlich soll damit der Politik unter die Arme gegriffen werden, um staatliche Ausgaben in Grenzen zu halten und sich damit den Goodwill der Staaten zu sichern. Dies kann man sicherlich als nicht ungefährliche Gradwanderung einstufen.

All das ist hochgradig ungewöhnlich und auch atypisch für eine Notenbank. Eine Abstimmung mit der Politik beeinträchtigt einerseits die Unabhängigkeit der EZB, erleichtert andererseits aber die „interpretative Ausdehnung“ des bestehenden Mandats. Hier kommt zum Tragen, dass Lagarde einerseits ein hochpolitischer Mensch ist, andererseits eine typische Französin. Frankreich pflegt mehr als jedes andere europäische Land ein etatistisches Staatsverständnis. Es wird spannend!

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