Deutschland und Künstliche Intelligenz – Placebopolitik par excellence

Deutschland ist das industrielle Flaggschiff Europas und auch weltweit spitze. Die Digitalisierung hat der Erfinder des Konzepts Industrie 4.0 zwar bereits verpasst, aber der Bereich Künstliche Intelligenz (“KI”) soll die Nation zukunftsfähig machen. Erfreulich ist nur, dass wenigstens irgendjemand in Europa die Bedeutung des Themas erkennt.

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Lächerlicher könnte es nicht sein. Das Handelsblatt titelte am 13.11.2018: “Bundesregierung will Milliarden in KI investieren und den USA und China zuvorkommen.” Es geht dann wie folgt weiter: “Die Große Koalition will mit einer neuen KI-Strategie der deutschen Wirtschaft zur Weltmarktführerschaft verhelfen.” So sollen vor allem vier Punkte in der neuen KI-Strategie der Bundesregierung vorkommen: Daten, Bildung, Transfer in die Wirtschaft und Regulierung. Das politische Signal soll klar zum Ausdruck kommen: Die Bundesregierung meine es diesmal ernst mit der Digitalisierung.

Vorsorglich geht Helge Braun, der Chef des Bundeskanzleramts und Bundesminister für besondere Aufgaben, mit Blick auf die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz bei einer Veranstaltung der Unionsfraktion in Berlin auch gleich einmal in Verteidigungshaltung: “Deutschland braucht da kein schlechtes Gewissen zu haben”. Das Bundesforschungsministerium fördere die Technologie schon seit 30 Jahren.

Während der Rest der Welt die Digitalisierung als Chance und Herausforderung begreift, ergeht sich Europa in ethischen Diskussionen über Freiheit, Privatsphäre und Datenschutz. Statt wettbewerbsfähige Lösungen zu entwickeln, demontiert sich ein saturierter Kontinent selbst. Über Digitalisierung wurde zwar viel geredet, aber wenig getan. Europa liegt hier bereits hinten, teilweise auch gegenüber Entwicklungs- und Schwellenländern. Kaum hat Europa beim Datenschutz voll danebengegriffen, wird man sich wenigstens in Deutschland der damit einhergehenden fatalen Auswirkungen bewusst. Das soll nun teilweise bereits wieder korrigiert werden, indem insbesondere in Bezug auf die digitale Arbeitswelt das Datenschutzrecht neu gestaltet werden soll.

Thema endlich erkannt, homöopathisches Medikament wird angekündigt

Fast scheint es, dass eine europäische Gesellschaft, die zukunftsvergessen und selbstzufrieden vor sich hinlebt, nun wirkliche Anstrengungen unternehmen will, den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfit zu machen. Nachdem Frankreich angekündigt hat, den lächerlichen Betrag von 1,5 Milliarden Euro innerhalb der nächsten 5 Jahre (!) in KI zu investieren, will auch Deutschland etwas beitragen und diesen Betrag mit drei Milliarden Euro toppen. Man kann diese Ignoranz hinsichtlich der erforderlichen Dimensionen nur als schändlich bezeichnen. Die Investitionsvolumina, die in anderen Weltregionen für KI eingesetzt werden, sind den handelnden Politikern nämlich sehr wohl bekannt. Es geht daher vor allem um Symbolpolitik. Und zwar wider besseren Wissens.

Gemäß dem Marktanalyseunternehmen CB-Insights zog China 2017 48% aller weltweiten Investitionen im Bereich KI an. Dies ist mehr als die USA, wo 38% aller Gelder hingingen. Dass selbst sehr kleine Staaten ausgesprochen aktiv und auch attraktiv für KI sein können, beweist Israel, das in diesem Segment weltweit mit an der Spitze ist. Nur Europa schläft.

China hat angekündigt, bis zum Jahr 2030 globale Dominanz im Bereich KI erreichen zu wollen. Dazu investiert China als Staat gigantische Summen, die zusätzlich durch private Investitionen gehebelt werden. Bereits im Jahr 2017 hat China angekündigt, 150 Milliarden US-Dollar im Bereich KI zu investieren. Die wichtigste Unterstützung für die KI-Branche ist jedoch der Umgang mit Daten, die der Treibstoff für KI sind. Während China Unmengen an Daten erhebt und nutzt, führt Europa einen verschärften Datenschutz ein.

“Deep Learning” heißt das neue Zauberwort

Deep Learning ist eine Teildisziplin von maschinellem Lernen. Maschinelles Lernen ist der Oberbegriff für die „künstliche“ Generierung von Wissen aus Erfahrung: Ein künstliches System lernt aus Beispielen und kann die Erkenntnisse daraus nach Beendigung der Lernphase verallgemeinern. Beim maschinellen Lernen werden Muster und statistische Gesetzmäßigkeiten aus den Lerndaten erkannt und verallgemeinert.

Deep Learning basiert heute zumeist auf der Architektur künstlicher neuronaler Netzwerke. Dabei geht es sowohl um Hardware als auch um Software. Das Unternehmen Horizon Robotics sitzt in Peking und ist nur ein Beispiel für die chinesischen Bemühungen um dieses wichtige Gebiet. Das junge Unternehmen entwickelt Chips für KI, die neuronale Netze nachbilden. Diese sind darauf ausgelegt, gehirnähnliche Strukturen nachzubilden, um sodann im Bereich Mustererkennung und Musterdeutung eingesetzt zu werden.

Klassische Anwendungen existieren beispielsweise derzeit in den Bereichen Spracherkennung, Sprachgenerierung, automatische Übersetzungen, Bioinformatik, medizinische Diagnostik, Materialwissenschaften, Robotik und autonomes Fahren. Für die Qualität von Deep Learning stellen mittlerweile Daten, nicht mehr primär die algorithmische Umsetzung der Lernprozesse die wichtigste Ressource dar. Entscheidend ist aber auch ein präzise formuliertes Lernziel. Ist das Ziel zu weit gefasst, fehlen dem Algorithmus klare Benchmarks, um optimale Schlüsse ziehen zu können. Sind zu wenig Daten vorhanden, hat der Algorithmus zu wenig Beispiele, um bedeutende Korrelationen erkennen zu können. Die folgende Graphik demonstriert die neue Qualität, die Deep Learning hervorbringt:

Quelle: www.slideshare.net/ExtractConf/andrew-ng-chief-scientist-at-baidu?ref=https://www.slideshare.net/ExtractConf/slideshelf, Zugriff 26.11.2018

 

Warum China gegenüber den USA systematisch in Vorteil gelangen wird

China generiert bereits jetzt wesentlich mehr Daten als die USA. Zudem sind die Daten “wertvoller”, da sie von Hunderten Millionen Chinesen real in allen Lebenslagen mobil erzeugt werden, während die Daten in den USA oft vor allem aus sozialen Netzwerken stammen.

Entscheidend für die Beurteilung der Zukunft ist jedoch die Tatsache, dass mittlerweile ein wesentlicher Teil der abstrakten KI-Forschung bereits so weit fortgeschritten ist, dass die konkrete Umsetzung in zahlreichen Industrien bevorsteht. Die unglaubliche Vielfalt und die für unser Denken unvorstellbare Wettbewerbsintensität, der sich chinesische Unternehmen im Bereich KI ausgesetzt sehen, werden für eine schnelle und sehr konkrete Implementierung sorgen. KI ist dem Bereich der Forschung entwachsen und im Bereich der Implementierung angelangt.

Die USA haben derzeit noch die klügsten Köpfe, China jedoch den größten Markt und ein viel radikaleres und brutaleres Wettbewerbsumfeld. Ein Großteil der prominentesten KI-Forscher Chinas haben an Ivy-League-Universitäten studiert. Chinesische Startups eröffnen Dependancen im Silicon Valley. Aber auch Amerikaner pendeln regelmäßig nach China. Vor Kurzem wurde bekannt gegeben, dass chinesische Eliteuniversitäten wie Tsinghua und Fudan zur Entwicklung von KI Forschungsallianzen mit dem MIT sowie mit Universitäten aus Australien und Singapur eingehen. Keine einzige europäische Universität sitzt dabei mit am Tisch.

Im Zeitalter der Implementierung hat China die Nase vorne

Da mittlerweile das Zeitalter der Implementierung von KI angebrochen ist, sollte man sich des wachsenden chinesischen Vorteils gegenüber dem Rest der Welt klar werden. Im Zeitalter der KI-Grundlagenforschung waren es eine überschaubare Gruppe von Elite-Forschern vornehmlich aus dem Silicon Valley und Kanada, die für die amerikanische Überlegenheit standen. Heute brauchen erfolgreiche KI-Algorithmen vor allem drei Dinge: Big Data, starke Rechenleistung und Ingenieure für KI-Algorithmen. Letztere müssen nur gut genug sein, nicht unbedingt Weltspitze. Rechenleistung und hinreichende Ingenieurkapazitäten sind in China im Überfluss vorhanden, Daten sowieso.

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Damit Implementierung stattfindet, bedarf es aber auch eines Ökosystems an Weltklasseunternehmern. Chinesische Entrepreneure durchleben permanent ein Stahlbad in Hinblick auf innerchinesischen Wettbewerb. Nirgendwo in der Welt ist der Wettbewerb brutaler, “kriegsähnlicher” und hemmungsloser als in China. Silicon-Valley-Ideale wie Einzigartigkeit, Fairness, Kopierschutz etc. existieren nicht. Während amerikanische Entrepreneure auch ethos- und imagegetrieben agieren, ist dies in China ein Fremdwort. Nur geldmäßiger Erfolg zählt. Dies erfordert Schnelligkeit, Brutalität und Pragmatismus.

Der chinesische Markt und das generierte Datenvolumen sind so groß, dass selbst eng formulierte Nischen für Deep Learning mit ausreichenden Daten unterfüttert werden können, was eine erfolgreiche Implementierung kommerzieller Anwendungen begünstigt. Die Unterstützung durch den chinesischen Staatskapitalismus fördert die Entwicklung von KI besonders. China hat KI zu “DER” Schlüsseltechnologie erklärt. Das lässt erahnen, wie massiv die Anstrengungen sein werden.

PriceWaterhouseCoopers (PWC) schätzt, dass KI-Anwendungen im Jahr 2030 bereits 15,7 Billionen Dollar zum globalen Bruttosozialprodukt betragen werden. Davon sollen auf China etwa 7 Billionen Dollar entfallen, fast doppelt so viel wie auf die USA, denen PWC 3,7 Billionen Dollar vorhersagt. Neben der rein ökonomischen Macht verschiebt sich auch der politische Einfluss und die “soft power”, also Chinas kultureller und ideologischer Fußabdruck im Weltmaßstab, seit Jahren zugunsten des Reichs der Mitte.

Die neue KI-Weltordnung wird ökonomische Ungleichheit erzeugen

Eine neue bipolare Weltordnung, dominiert von den USA und China zeichnet sich ab und wird beträchtliche Ungleichheit sowohl zwischen den Wirtschaftsblöcken als auch innerhalb der einzelnen Staaten erzeugen. Die USA und China sammeln mehr Daten und ziehen mehr Human Resources (Talente) an als Europa. Dieser Vorsprung wird ab einem gewissen Punkt nicht mehr aufzuholen sein, da überlegene KI im Laufe der Zeit aus sich selbst heraus immer besser wird. Der Vorsprung nährt dann die weitere Entwicklung. Plattformen verändern bereits jetzt unsere ökonomoischen Systeme. Die Revolution von Geschäftsmodellen ist bereits voll im Gang.

Die Frage wird sein, wie Gesellschaften mit der damit einhergehenden zunehmenden Ungleichheit umgehen werden. Sowohl in China als auch in den USA ist die Ungleichheit bereits wesentlich größer als in Europa. Die USA kennen dieses Phänomen bereits seit ihrer Gründung. Deren christlicher Protestantismus calvinistischer Prägung stand dafür Pate. Auch im chinesischen Konfuzianismus ist Ungleichheit als natürliche Gegebenheit (und gesellschaftlich wünschenswerter Antrieb) seit Jahrtausenden verwurzelt. Nicht umsonst erfolgt zurzeit die zuletzt von Xi Jinping geförderte Rückbesinnung auf einen an moderne Verhältnisse angepassten Konfuzianismus, der harmonisch mit einem Marxismus chinesischer Prägung verschmelzen soll.

Datengetriebene Geschäftsmodelle werden unsere industrielle Zukunft bestimmen. Die neue KI-Weltordnung wird aus heutiger Sicht Winner-takes-it-all-Märkte begünstigen. Der ökonomische Abstand zwischen globalen “haves” und “have-nots” wird sich vergrößern. Eine noch nie dagewesene Konzentration von Vermögen in der Hand einiger Unternehmen in China und den USA dürfte die Folge sein.

Aus meiner Sicht stellt das die wahre Bedrohung für Europa (durch Künstliche Intelligenz) dar. Gewaltige soziale Umwälzungen, schlimmstenfalls der politische Kollaps könnten aus technologisch induzierter Massenarbeitslosigkeit und wachsender Ungleichheit resultieren. Deutschland und Europa sollten daher schleunigst umdenken und zumindest denselben Prozentsatz des Bruttoinlandsproduktes in diese Themen investieren wie es unsere größten globalen Konkurrenten tun. Stattdessen vernebelt Placebo- und Symbolpolitik wie die neue KI-Initiative der deutschen Bundesrepublik unsere Sinne und gefährdet die Zukunft unserer Kinder.

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