Reaktionäre Bunkerstimmung ist die Antwort auf liberale Hybris

Überall rumort es in unseren westlichen Gesellschaften. Es begann mit Politikverdrossenheit und setzt sich fort mit zunehmendem Widerstand gegen “die da oben”. Liberale Eliten finden keine Antwort und flüchten sich in Phrasen. Der EU-Wahlkampf 2019 ist ein Lagerwahlkampf. In diesem Blogpost widme ich mich dem “autoritären Traum”.

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Die reichen, demokratischen Länder sind in ein reaktionäres Zeitalter abgeglitten, zumindest in breiten Kreisen jener Bevölkerungsschichten, die nicht den sogenannten liberalen Eliten zuzurechnen sind. Menschen fühlen sich auf dem Weg zurückgelassen und stellen fest, dass der Druck steigt, ohne dass sich neue, bessere Perspektiven eröffnen. Sie fühlen sich den Herausforderungen, welche Globalisierung, Digitalisierung, Migration und interkultureller Austausch mit sich bringen, nicht gewachsen. Ihr liebstes Gefühl ist das der Nostalgie, sie wollen diese Zukunft nicht, denn diese Zukunft bedeutet Veränderung. Und Veränderung begreifen sie als Verschlechterung.

Es sind nicht mehr nur die Modernisierungsverlierer, die so empfinden, sondern auch eine zunehmend apolitische Generation, die es verlernt hat, zu kämpfen. Sie ist gewohnt zu konsumieren und ihre Eltern waren seit den 1968er Jahren bemüht, Selbstentfaltung zu predigen und Leidensdruck von ihnen abzuhalten. Diese Generation hat heute bereits selbst Kinder und vielleicht auch Enkel. Sie stehen mitten im Leben und verstehen Politik als Customer Service. Da die Politik nicht hinreichend liefert, wird das System als solches abgelehnt. Dass es ihnen besser geht als allen Generationen vor ihnen, ändert nichts daran, dass sie sich verraten fühlen.

Menschen leben nach Weltbildern, man nennt dies Kultur. Es sind Geschichten über uns selbst, die sich die Menschheit seit jeher erzählt und die unser Selbstverständnis prägen. Diese Geschichten schaffen kontrafaktische Weltentwürfe, die einen höheren Sinn, eine Wertewelt und damit eine Orientierung vermitteln. Fakten spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Sowohl der “liberale Traum”, als auch der “autoritäre Traum” sind derartige Geschichten.

Die europäische Aufklärung war die Geburtsstunde des “liberalen Traums”

Der liberale Traum bedeutete ursprünglich die Befreiung des Menschen aus obskuren Dogmen und feudalen Gesellschaftsstrukturen. Er war immer auch eine soziale Emanzipationsbewegung und nicht nur eine geistesgeschichtliche Neuorientierung. Der liberale Traum lautet in etwa so:

Alle Menschen sind frei und mit den gleichen unveräußerlichen Rechten geboren. Daher sind sie auch gleich vor dem Gesetz. Die Idee des rule of law, der Gewaltenteilung, der Menschenrechte und der Menschenwürde sind nicht diskutierbar. Die Erlangung und Verteidigung von individueller Freiheit ist das oberste Ziel liberaler Gesellschaften. Fortschritt bedeutet Wohlstand und bedingt Innovation und Produktivitätssteigerung. Wachstum ist damit systembedingt, und permanente Veränderung wird zur persönlichen Pflicht. Der Markt und die Demokratie sind das Ergebnis dieser Prozesse und gleichzeitig deren Voraussetzung. Die Konsumgesellschaft modernen Zuschnitts entstand daraus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Kritik kam ganz zu Beginn (ab dem 16. Jahrhundert) vor allem aus dem konservativem Lager, das damals seine Privilegien durch die aufsteigende Bürgerklasse bedroht sah. Ab dem 19. Jahrhundert regte sich massiver Widerstand von links. Marxisten betrachteten durch die Verbindung von Kapitalismus und Bürgertum den liberalen Traum als Erfindung des “Klassenfeindes”. Vor allem jüngst regt sich nun neuer Widerstand aus dem rechtsnationalen Lager, dem sich auch diverse Populisten anschließen.

Der autoritäre Traum steht für eine geistige “Festung”, Illiberalität inklusive

Stephen Bannon, ehemaliger Chefstratege von Donald Trump, hat die Ideen der “Festung” im Jahr 2014 in einem Monolog per Videoschaltung bei einer Veranstaltung des Dignitatis Humanae Institute im Vatikan dargelegt. Bannon, der im EU-Wahlkampf 2019 die politische Rechte berät, sieht die Welt in einer massiven Krise. Besonders betroffen sei der jüdisch-christliche Westen. Es sei eine Krise unseres Glaubens im Kampf gegen den Atheismus und den islamischen Faschismus. Der extreme Liberalismus habe zu einem Casino-Kapitalismus geführt, der die Menschen zu Handelsgütern degradiere.

Die erneute “Moralisierung des Westens” sei das Gebot der Stunde und stütze sich auf eine “populistische Mitte-rechts-Bewegung der Mittelklasse, arbeitender Männer und Frauen”, die es leid wären, sich von liberalen Eliten etwas vorschreiben zu lassen. Diese “globale Tea-Party” habe gemeinsame Interessen und ähnliche Prinzipien, die zu einer globalen Revolte von Lateinamerika bis Indien führen würde. Besonders lobt Bannon in diesem Zusammenhang den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der “traditionelle Institutionen (wie die orthodoxe Kirche, Anmerkung des Autors) unterstützt und versucht, das mit einer Form von Nationalismus zu tun”. Der indische Premier Narendra Modi mit seinem explosiven Hindu-Nationalismus, der islamisch-konservative Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der amerikanische Präsident Donald Trump, der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, zahlreiche rechtspopulistische Bewegungen und Parteien in Europa sowie viele andere stehen trotz aller Unterschiede für diese Geisteshaltung.

Bannon erklärt, worin der autoritäre Traum besteht

Bannons Haltung zu Abtreibung, sexuellen Identitäten, nicht traditionellen Familienmodellen, Retraditionalisierung weiblicher Rollenbilder und libertäre Ablehnung des administrativen Staates dienen dazu, einen Schutzwall um den Kern “westlicher Werte” zu ziehen. Äußere und innere Feinde müssen daher radikal bekämpft werden, staatliche Institutionen “dekonstruiert” werden, da sie von liberalen Eliten okkupiert sind. Starke Führer sind gefragt, die das “echte Volk” repräsentieren, da sich das bestehende System nicht reformieren lasse. Das echte Volk würde von liberalen Eliten unterdrückt und belächelt.

Im Nachklang zu den 1968er Jahren hätten diese atheistischen Nihilisten die traditionellen Parteien und Medien unterwandert, die Universitäten übernommen, die Geschichte umgeschrieben und traditionelle Wertvorstellungen lächerlich gemacht. Die Diktatur der Neunmalklugen habe über political correctness neue Sprachregeln eingeführt und über sogenannte Fakten und scheinbar universelle Wahrheiten die globale Herrschaft übernommen. “Alternative Fakten” und ein spezieller Umgang mit der Wahrheit sind daher nötig, um die Dominanz dieser dekadenten Eliten im öffentlichen Leben zu bekämpfen.

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Die konservative Rebellion soll auch vor den barbarischen Horden zivilisationsferner Feinde schützen: “Build that wall”. Die Mauer endet aber nicht an der Grenze, eine ideologische Festung muss auch vor liberalen Werten schützen. Erst wenn das liberale System mit Stumpf und Stingel ausgelöscht ist, kann eine echte Volksgemeinschaft wieder entstehen. Demokratie ist nützlich, um die Macht zu erlangen. Volksabstimmungen sollen die vox populi aktivieren und die Macht der Eliten zurückdrängen. “Alternative Fakten” sind ebenso nützlich wie die Aktivierung niedriger Instinkte. Die Rückbesinnung auf eine bessere Vergangenheit lebt auch von der Zukunftsangst vieler Menschen. Der autoritäre Traum, der Traum von der Festung, richtet sich explizit gegen die Aufklärung.

Trump hat im Präsidentschaftswahlkampf Dämme gebrochen

Philipp Blohm schreibt in seinem lesenswerten Buch “Was auf dem Spiel steht” Folgendes: “Wenn ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat mit seinen sexuellen Übergriffen prahlt und die Bewohner eines Nachbarlands als Drogendealer und Vergewaltiger bezeichnet, dann beleidigt er damit nicht Frauen und Mexikaner, sondern er zeigt dem entrüsteten liberalen Establishment den Mittelfinger – zur ekstatischen Freude seiner Anhänger, die zu eingeschüchtert waren, um öffentlich dasselbe zu tun.

Wenn der russische Präsident behauptet, die russischen Soldaten auf der Krim seien entweder keine russischen Soldaten oder auf Urlaub dort, dann erwartet er nicht, dass ihm geglaubt wird, vielmehr will er, dass Fakten irrelevant werden.” Er lüge, wie die Journalistin Masha Gessen über ihn schrieb, “um Macht über die Wahrheit selbst zu domonstrieren”.

Die Wähler faschistischer Führerfiguren in den 1930er Jahren in Europa ähneln sozialstrukturell den Wählern der Anhänger des autoritären Traums der 2010er Jahre weltweit. Sie rekrutieren sich nicht aus den ganz Armen oder der gehobenen urbanen Mittelschicht. Anhänger der konservativen Revolution sind vielmehr – von den USA über Europa, Türkei und Russland – Teile des Kleinbürgertums und der in den Dienstleistungsbereich abgedrängten Arbeiterschaft sowie ländliche Konservative. Diese Gruppen zählen nominell zur Mittelschicht und fürchten sich vor sozialem Abstieg. Sie haben etwas zu verlieren, die Rebellion richtet sich gegen eine alles zermalmende Moderne.

Der autoritäre Traum hat eine philosophische Tradition

Bereits die frühe Auseinandersetzung um die Aufklärung hat die tiefere Wurzel für die heutige Rebellion gegen den liberalen Traum offengelegt: Die Aufklärungskritik von Jean-Jacques Rousseau, dem Genfer Philosophen, Pädagogen und Schriftsteller des 18.Jahrhunderts, lautete wie folgt: Die kalte Rationalität der Aufklärung ersticke die edlen Gefühle und die Freiheit der Natur im Keim. Der große Romantiker wurde zum Schutzpatron der Zivilisationskritik. Die Stimme der Natur und der natürlichen Moral wird durch das Geschnatter der Gesellschaft und das Getöse der politischen Macht übertönt. Der Mensch verliert dadurch seinen Kompass, die Gesellschaft braucht in Form eines “weisen Gesetzgebers” wieder eine klare Orientierung.

Dieser weise Gesetzgeber regiert durch Zensur, Verbannung der Volksverhetzer, eine Geheimpolizei und notfalls durch die Hinrichtung derer, die sich keines Besseren belehren lassen. Diese umfassende Zurückweisung liberaler und universeller Werte, die sich in der Aufklärung manifestierten, fand einen starken Widerhall bei Generationen von Lesern, die im eigenen Leben die Entwurzelung und auch die zerstörerische Kraft der Industrialisierung erlebten und sich aller moralischer Orientierung beraubt fühlten. Das romantische Aufbegehren dagegen war eine echte Alternative zu den religiösen Konservativen und den rationalistischen Aufklärern, die über weite Strecken die Debatte dominierten. Die Romantiker sahen sich alleine im Besitz der Wahrheit, die durch die Stimme der Natur geleitet wird.

Im 20. Jahrhundert galt der stilistisch brilliante Theoretiker Rousseau als Vordenker autoritärer Gesellschaften, gelenkter und manipulierter Volksdemokratien sowie der Infrastruktur an repressiven Mitteln zum Machterhalt. Die soziale Anatomie der Rebellion (Kleinbürger, desillusionierte Arbeiter und ländliche Konservative) ist historisch bemerkenswert stabil und zeigt auch eine Parallele zum Aufstieg faschistischer Bewegungen im Europa. Diese Menschen hatten seit jeher etwas zu verlieren.

Der EU-Wahlkampf 2019 legt die Bruchlinien unserer Gesellschaften offen

Erstmals in Europa findet ein Wahlkampf um das EU-Parlament wahrscheinlich eine weitgehend geeinte Rechte vorfinden, die dem “vereinten Establishment” eine populistische Alternative in Form des autoritären Traums entgegenstellt. Es wird interessant, wie etablierte politische Lager langfristig darauf reagieren werden. Es steht zu befürchten, dass die “Ausgrenzung der Amoralischen” und die Beschwörung des “alternativlosen” Friedensprojektes Europa die einzige Gemeinsamkeit der EU-Befürworter bleiben wird. Das ist bedauerlich, weil dadurch nur die Frage “Europa – dafür oder dagegen”, nicht aber die Frage nach einem veränderten zukunftstauglichen Europa im Mittelpunkt steht. Mit diesem Thema werde ich mich demnächst in einem weiteren Blogpost auseinandersetzen.

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