Europa ist nicht präsent im Bereich künstlicher Intelligenz

Künstliche Intelligenz (KI) wird in naher Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften entscheidend mitbestimmen. Asien und die USA haben das erkannt. Während Europa sich in Diskussionen über ethische Fragen ergeht, setzt die globale Konkurrenz bereits jetzt voll auf diese Zukunftstechnologie.

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Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. China hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 die führende Nation im Bereich künstliche Intelligenz zu werden. Die USA tun alles, um ihren derzeit noch bestehenden Vorsprung zu verteidigen oder sogar auszubauen. Es geht dabei nicht nur um wenige exotische Anwendungen und um Produktivitätssteigerungen in Dienstleistungsbereichen. Es geht auch um die Zukunft der Industrie. Der Begriff Industrie 4.0 wurde zwar in Deutschland geprägt. Die wahre Umsetzung erfordert aber KI in einem Ausmaß, dessen sich in Europa derzeit nur wenige Politiker wirklich bewusst sind.

Warum KI so wichtig ist, hat Chinas Präsident Xi Jinping anlässlich einer programmatischen Parteitagsrede 2017 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: „Es gilt, die tief greifende Integration von Internet, Big Data, künstlicher Intelligenz und der Realwirtschaft zu fördern.“ Weiters meinte er, bei der KI ginge es um DIE strategische Technologie der Zukunft“.

Währenddessen diskutiert das Europaparlament darüber, ob künstliche Intelligenzen als elektronische Personen gelten sollten. Die deutsche Bundesnetzagentur verbietet die „kluge“ Puppe Cayla, da sie im Kinderzimmer jedes gesprochene Wort aufzeichnet. Gleichzeitig stellen sich aber unzählige Europäer Alexa von Amazon ins Wohnzimmer, weil man so herrlich mit ihr kommunizieren kann. Ein brauchbarer strategischer Ansatz zum Thema KI ist von europäischen Politikern weit und breit nicht zu hören. Stattdessen steht Datenschutz  ganz groß auf der Tagesordnung. Das lässt sich politisch leichter als Sorge um den „kleinen Mann“ vermarkten.

Die Anwesenheit auf der Weltkonferenz für künstliche Intelligenz in Shanghai spricht Bände

Die deutsche Qualitätszeitung „Die Zeit“ schreibt in einem interessanten Artikel über KI vom 20.09.2019/Nr. 39 als Überschrift „Europa hat sich abgemeldet“. Auf der Weltkonferenz in Shanghai machen China und die USA die Zukunft unter sich aus. Die Zeit schreibt weiter: „Gekommen sind dann alle: nicht nur die Bosse von Alibaba, Tencent, Baidu, Huawei und Xiaomi, sondern auch der Vizepräsident von Google, hochrangige Manager von Amazon und Microsoft, Nobelpreisträger und führende KI-Forscher aus Stanford, Berkeley und Cambridge.“ Europäische Unternehmen glänzten durch Abwesenheit. Auf Unternehmensseite war nur der lokale Manager des Chinabüros von SAP vertreten.

Europa spricht über Chancen und Gefahren im Bereich künstlicher Intelligenz. Im internationalen Vergleich bleibt es allerdings beim Reden. Weitgehend unbemerkt hat Europa auch im Bereich von Plattformen  bereits den Anschluss verloren. Warum ist das auch für die Entwicklung der künstlichen Intelligenz so wichtig? Plattformen sammeln Unmengen an Daten. Und Daten bilden die Grundlage für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Weniger Daten bedeutet, dass bei ein und derselben KI-Anwendung die „Intelligenz“ weniger lernen kann und damit unterlegen sein wird.

Nachdem Industrie 4.0 aber von künstlicher Intelligenz lebt, ist das eine schlechte Nachricht für Europa. Letztlich wird dies tendenziell die Reindustrialisierung der USA fördern, die Deindustrialisierung Europas begünstigen und die Industrie Chinas auf ein völlig neues Niveau heben. Denn das Zusammenwirken von Robotik und künstlicher Intelligenz gilt als der nächste große Meilenstein in der Entwicklung intelligenter Maschinen.

Die Plattformökonomie betrifft nicht nur Startups

Obgleich die USA hinsichtlich der Marktkapitalisierung ihrer Plattformunternehmen klar führen, holt China mächtig auf. Insbesondere Alibaba bricht derzeit alle Rekorde. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Alibaba unterschiedliche Plattformen unter seinem Dach vereint. Europa ist weit abgeschlagen, aber zumindest im Bereich industrieller Plattformen noch nicht auf verlorenem Posten. Allerdings steht zu befürchten, dass die europäische Datenschutzgrundverordnung  europäische Plattformen überproportional behindern wird. Lateinamerika und Afrika folgen auf den Fuß und entwickeln sich schnell. Das folgende Schaubild gibt einen Überblick:

Quelle: https://inform.tmforum.org/features-and-analysis/2016/09/regulating-platforms-land-not-free/, Zugriff: 25.05.2018

Ganz traditionelle Branchen werden künftig von Plattformgeschäftsmodellen massiv tangiert werden. Klassische Unternehmen erzeugen ihre Produkte in der Regel entlang einer linearen Wertschöpfungskette. Bereits jetzt beginnen solche Unternehmen damit, ihre Supply Chain aufzubrechen und Elemente von Plattform-Geschäftsmodellen in ihre Prozesse zu integrieren. Mehr und mehr wird dies in nächster Zeit zu beobachten sein. Innovationsschübe, Effizienzgewinne und Wachstumsgewinne werden jene klassischen Geschäftsmodelle begünstigen, die rechtzeitig diese Entwicklung erkennen.

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Unterschiedliche Typen von Plattformen werden bereits jetzt in Geschäftsprozesse von klassischen Unternehmen integriert. Überall wird Datamining und KI eine wichtige, vielleicht die wichtigste Rolle überhaupt spielen. Europa hat aber bei beiden Zukunftsthemen, sowohl bei Plattformen als auch bei KI, bereits den Anschluss verloren.

Aufholen wird für Europa schwierig

Es ist noch nicht zu spät, aber es ist bereits sehr spät. Sowohl Plattformen als auch KI weisen beide ein wichtiges ökonomisches Merkmal auf. Beide Instrumente leben davon, dass aufgrund der technologie- und geschäftsmodellinhärenten Logik bestehende Vorsprünge zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen führen. Tendenzen zu Oligopol- und Monopolbildungen sind aufgrund klassischer Economies of Scale dort wesentlich stärker ausgeprägt als in anderen Geschäftsmodellen. KI wird klüger, indem sie durch breite Anwendung lernt. Und Plattformen ziehen immer mehr Teilnehmer an, je größer die Netzwerkeffekte  sind.

Letztlich wird das eingesetzte Kapital neben einem möglichst liberalen Datenschutzregime darüber entscheiden, wer die Nase vorne haben wird. Europa ist zwar hinsichtlich des aktuellen Bruttoinlandsproduktes die größte Volkswirtschaft der Welt. In Geldeinheiten ausgedrückt fließt jedoch in Plattformen und KI nur ein im Vergleich verschwindend geringes Kapitalvolumen. Das europäische Datenschutzregime ist im Vergleich zu den USA und China extrem restriktiv. In der maschinelle Spracherkennung, ein Schlüsselthema für KI, leidet Europa auch noch darunter, dass die europäische Sprachenvielfalt ein zusätzliches Problem darstellt. Wer mit SIRI sowohl auf englisch als auch auf deutsch kommuniziert, wird unschwer feststellen können, dass die Ergebnisse der englischsprachigen SIRI-Version wesentlich besser sind als die der deutschsprachigen Version.

Die USA haben derzeit noch die klügsten Köpfe, China jedoch den größten Markt

Ein Großteil der prominentesten KI-Forscher Chinas haben an Ivy-League-Universitäten studiert. Chinesische Startups eröffnen Dependancen im Silicon Valley. Aber auch Amerikaner pendeln regelmäßig nach China. Vor kurzem wurde bekannt gegeben, dass chinesische Eliteuniversitäten wie Tsinghua und Fudan zur Entwicklung von KI Forschungsallianzen mit dem MIT sowie mit Universitäten aus Australien und Singapur eingehen. Keine einzige europäische Universität sitzt dabei mit am Tisch.

André Loesekrug-Pietri, ein Deutschfranzose, der gemeinsam mit anderen Unternehmern die Initiative JEDI ins Leben gerufen hat, um Europa beim Thema KI auf die Sprünge zu helfen, meint dazu deprimiert: „Wir Europäer predigen dem Rest der Welt den ethischen Umgang mit Technologie“. Andere würden handeln, die Europäer seien aber einfach nicht präsent. Und er warnt: „Europa unterschätzt nicht nur die Dimension der Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz. Wir unterschätzen vor allem ihre Geschwindigkeit.“

China investiert massiv

Peking baut derzeit für zwei Milliarden US-Dollar einen Industriepark für neue KI-Unternehmen, die sich dort gegenseitig befruchten können. Shanghai hat erklärt, rund 15 Milliarden US-Dollar in KI-Projekte zu investieren, unter anderem in den Aufbau einer volldigitalisierten „Smart-City“. Microsoft und Amazon wollen neue Entwicklungszentren in Shanghai gründen. Das derzeit wertvollste KI-Startup der Welt ist Sensetime, ein chinesischer Hersteller zur Technologie der Gesichtserkennung. Sensetime arbeitet seit Anfang 2018 mit dem Massachusetts Institute of Technology zusammen. Und auch Google wälzt große Pläne in China.

Gemäß dem Marktanalyseunternehmen CB-Insights zog China 2017 48% aller weltweiten Investitionen im Bereich KI an. Dies ist mehr als die USA, wo 38% aller Gelder hingingen. Dass selbst sehr kleine Staaten ausgesprochen aktiv und auch attraktiv für KI sein können, beweist Israel, das in diesem Segment weltweit mit an der Spitze ist. Nur Europa schläft.

Ein Lichtblick: Europa ist vorne dabei im Bereich Blockchain

Eine Technologie, die ebenfalls gravierende Auswirkungen auf viele Branchen haben wird, ist die Technologie der Blockchain. Blockchain bedeutet wesentlich mehr nur Bitcoin oder andere Kryptowährungen. Sogenannte Peer-to-Peer-Systeme entsprechen dem europäischen Demokratieverständnis und bereiten den Europäern weniger Probleme beim Datenschutz.

In Europa wird derzeit vielerorts an einer Regulierung der Blockchain gearbeitet. Aus meiner Sicht ist das positiv zu bewerten, weil dadurch Rechtssicherheit entsteht, sofern die Regulierung nicht übertrieben wird.

Ein Muster für eine europäische Regulierung könnte aus einem kleinen aber feinen Finanzplatz kommen. Längst hat Liechtenstein sich von einer Steueroase in einen attraktiven Technologiehub entwickelt. In Liechtenstein befindet sich ein Blockchaingesetz gerade im Begutachtungsverfahren. Es trägt die Bezeichnung „Gesetz über auf vertrauenswürdige Technologien beruhende Transaktionssysteme“. Der komplizierte Name hat einen guten Grund. Er stellt den Versuch dar, eine technologieunabhängige, liberale Regulierung der sogenannten „Tokenökonomie“ vorzunehmen, die viele Rechtsmaterien tangiert und äußerst clever die Einbindung der Blockchain in die Finanzwirtschaft UND in die Realwirtschaft regelt.

Denn nicht nur Unternehmensfinanzierung über die Blockchain wird künftig ein wichtiges Thema werden. Auch die Gestaltung zahlreicher realwirtschaftlicher Prozesse über die Blockchain wird wesentliche Effizienzgewinne und Transaktionssicherheit bringen. Selbst das Internet of Things wird in der Blockchain-Technologie eine wertvolle Grundlage finden. Erfreulicherweise ist Europa auf diesem Feld noch nicht abgemeldet. Vor allem Siemens ist europäischer Vorreiter.

KI bleibt eine Chance und Herausforderung, der wir uns nicht entziehen können

Dennoch werden wir nicht umhinkommen, das Thema KI nicht nur in akademisch-ethischer Manier zu diskutieren, sondern massiv zu investieren und die Grundlagen für ein Ökosystem zu schaffen, das für Technologiefeindlichkeit keinen Raum lässt. Es wird sehr schnell eine Schlüsselfrage für unsere europäischen Volkswirtschaften werden. Israel zeigt, wie es möglich ist, selbst als kleines Land ganz vorne mit dabei zu sein. Sollte sich also Europa nicht aus seiner Starre befreien können, dann bleibt es immer noch einzelnen Staaten vorbehalten, selbst Initiativen zu setzen. Diese Staaten werden dann wirtschaftlich auch in Europa die Nase vorne haben.

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